New York gibt es gleich zweimal – den Bundesstaat und die City. Nach unserem perfect Day an den Niagarafällen bescheren uns die beiden viele Ups, aber auch ein Down. Und um es chronologisch richtig zu erzählen, müssen wir direkt mit zweiterem beginnen:
Camping impossible
„Wenn sie uns in New York nicht haben wollen, hätten sie es auch vorher sagen können.“ So ungefähr sehen unsere Gedanken aus, als wir Fort Niagara verlassen und bei der Suche nach einem Campingplatz am Lake Ontario zusehends verzweifeln. Der Bundesstaat hat alle seine State Parks bereits Anfang Oktober geschlossen, auch die vier in bester Lage am Ufer des Sees. Da machen wir mit, dachten sich die Besitzer:innen der privaten Campgrounds der Region, und so finden wir auch dort geschlossene Tore und „Closed for the Season“ Schilder, aber keinen Platz zum Übernachten. Bei dem herrlichen Herbstwetter nicht wirklich nachvollziehbar. Public Land zum freien Stehen gibt es auch keines in der Nähe. Und Ärger mit Sheriffs, State Troopern, Rangern oder anderen Ordnungsbehörden wollen wir nicht. Statt also den Sonnenuntergang mit Blick auf den Lake Ontario und einem kalten Getränk im Campingstuhl zu genießen, müssen wir immer weiter fahren und suchen. Kurz bevor es endgültig dunkel wird, finden wir östlich von Rochester den Webster Park Campground. Kein wirklich einladender Ort, statt am See stehen wir mitten im Wald und zahlen für die Nacht völlig unangemessene 50 Dollar. Für den Platz und was er zu bieten hat eigentlich eine Unverschämtheit, aber wir wollen endlich Feierabend machen und schlucken die bittere Pille. Zu allem Überfluss haben sich Amina und Junes auch noch ein wenig den Magen verdorben und sind daher nicht richtig fit. Die Entscheidung fällt dann nicht weiter schwer, keinen weiteren Wander- und Naturtag mehr in New York State einzulegen. Am nächsten Morgen starten wir also mit dem Wohnmobil zu einer längeren Tagesetappe, die uns in den Bundesstaat New Jersey und nah an New York City heran bringt. Nach einer Nacht im Worthington State Forest stehen wir früh auf und erreichen bereits kurz nach zehn Uhr unseren Stellplatz in Jersey City, nur wenige Meter vom Hudson River entfernt.
Endlich wieder Metropole
Nach vielen Tagen auf dem Land und in der Natur, nach unzähligen Meilen durch den Mittleren Westen und seine Kleinstädte, nach den ganzen Pick-Up Trucks und Flaggen, nach einer langen Fahrt durch ein überwiegend weißes, konservatives und christliches Amerika sind wir froh und positiv angetan, uns mal wieder in einer bunten, lauten, lebendigen und mit Selbstdarsteller:innen überfüllten Metropole aufzuhalten. Die Abwechslung tut gut, und wo sollten wir diese sonst finden, wenn nicht hier: in New York City! Man könnte 10001 bis 10281 Fotos machen und hätte die Vielfältigkeit der Stadt noch nicht einmal im Ansatz dargestellt. Und da reden wir nur von Manhattan. Auf diesen Stadtteil konzentrieren wir uns in den dreieinhalb Tagen, die wir für NYC eingeplant haben. Eigentlich viel zu wenig Zeit. Daher richten wir uns ganz nach dem über zehn Jahre alten Reiseführer, den wir kurz vor Abflug noch in einer Bücher-Krabbelkiste abgestaubt haben und in dem drei „Spaziergänge“ durch die verschiedenen Viertel von Manhattan vorgeschlagen werden. Wobei es sich in Wahrheit eher um ausgedehnte Wanderungen handelt, wie wir nach zwei Tagen unseren schmerzenden Füßen nach zu urteilen konstatieren können. Es gibt aber auch so viel zu sehen.
Midtown Manhattan
Am Samstag nehmen wir uns eine Tour durch Midtown Mahattan vor: Von der 33. Straße geht es die 5th Avenue entlang zum Rockefeller Plaza, wo bereits die berühmte Eisfläche aufgebaut ist und präpariert wird. Von ganz oben genießen wir den Blick über die Stadt: nach Süden in Richtung Lower Manhattan, nach Norden über den Central Park zur Bronx, nach Osten in Richtung Brooklyn und Queens und nach Westen über den Hudson River nach New Jersey und Jersey City, wo unser Wohnmobil geparkt ist. Weiter geht die Tour am Trump-Tower und unzähligen Luxus-Boutiquen vorbei (keine Fotos, wozu Speicherplatz verschwenden), zunächst in ein stilechtes New Yorker Diner am Eck und im Anschluss in den Central Park. Dort genießen viele Menschen auf der Sheep Meadow die warme Oktobersonne, Läufer:innen trainieren die letzten Kilometer vor dem anstehenden New York Marathon, eine Breakdance-Akrobatik-Comedy-Gruppe liefert eine grandiose Street-Show, ein DJ animiert Disco Skater:innen zum Rollen und Tanzen und die Eisbahn ist ebenfalls bereits in Betrieb. Rein von der Anlage gibt es sicherlich schönere Stadtparks (Hyde Park London, Wallanlagen Bremen, Schloßpark Stuttgart, um mal ein paar zu nennen), das Treiben ist in seiner Vielfalt und Lebendigkeit aber schon sehr beeindruckend.
Als es zu dämmern beginnt, machen wir uns auf den Weg über den Broadway zum Times Square. Wieder werden wir von einem ausgelassenen und lebendigen Treiben erfasst. Vor allem junge Menschen nutzen den weltberühmten Platz, um sich am Samstagabend zu treffen und für die anstehende Nacht, die Partys und Feiern vorzubereiten. Für uns sind es nach dem langen Tag fast zu viele Eindrücke, trotzdem staunen wir ob der Menschenmassen, der Verrücktheit und der bunten Leuchtreklamen, für die der Times Square bekannt ist. Wir sind dann aber nicht unglücklich darüber, nach einer kurzen Fahrt mit der PATH wieder im ruhigen Jersey anzukommen und genießen vom Ufer des Hundson River aus den Blick auf das erleuchtete Lower Manhattan. Das wollen wir am nächsten Tag erkunden.
Lower Manhattan
Der Tag beginnt für uns an einem Ort, der zu einem Symbol für menschgemachte Grausamkeit geworden ist. Ein Ort, der uns tief bewegt und traurig macht. Wir sind sehr schweigsam unterwegs. Ich muss dem Geschriebenen und den Berichten über das World Trade Center und 9/11 nichts mehr hinzufügen, nur ein Gedanke sei mir erlaubt: Wie schrecklich, dass es so einen Ort geben muss. Egal, wo auf dieser Welt sich dieser Ort befindet.
Vom WTC aus wandern wir vorbei an weiteren Gedenkorten (Museum of Jewish Heritage, Mother Cabrini Memorial, American Merchant Mariners‘ Memorial, Korean War Memorial, The Immigrants) durch den Battery Park zur Staten Island Ferry. Mit dem knallorangenen Stahlboot fahren wir für lau an der Freiheitsstatue vorbei nach Staten Island. Eine beliebte Tour bei Tourist:innen, wobei viele nach dem Anlegen direkt von der einen Fähre zur anderen Fähre laufen und umgehend zurückfahren. Wir hingegen versuchen, in der Nähe des Anlegers von Staten Island ein gutes Restaurant zu finden, was sich als schwieriges Unterfangen darstellt. Letztlich landen wir im Shake Shack bei ordentlichem Fast Food und freundlichen Menschen. Auch gut.
Zurück in Manhattan geht unsere Tour weiter durch den Financial District zur Wall Street und der New York Stock Exchange. Der Ort, den wir alle aus der Tagesschau kennen. Viel fotogener als die weltbekannte Fassade des Finanzplatzes finden wir das Fearless Girl, eine Skulptur, die für Frauenrechte und Gleichberechtigung am Arbeitsplatz steht. Leider darf das Mädchen nicht mehr an seinem urspünglichen Platz dem Charging Bull gegenüberstehen, dort hat sie viel besser gepasst. Dem Bildhauer vom Charging Bull war das aber wohl nicht recht. Symbolhafter kann ein Geschehen kaum sein, oder?
Nach Börse und Banken laufen wir nach Brooklyn. Zu Fuß über den East River auf der Brooklyn Bridge, mit vielen anderen Menschen zusammen. Welcome back, Geschiebe und Gedränge. Zurück nehmen wir lieber den Fußweg auf der Manhattan Bridge, dort ist es zwar alle paar Minuten unerträglich laut (wenn die Subway vorbeidonnert), dafür haben wir einen tollen Blick auf die Skyline und die Brooklyn Bridge zusammen. Ach ja, alleine die beiden Brücken sind bereits vier Kilometer Wegstrecke. „Spaziergang“ – so so!
Die Manhattan Bridge endet in China Town. Dafür nehmen wir uns auf dem Rückweg nicht mehr so viel Zeit, es wird dunkel und wir sind müde. An einem Platz aber müssen wir doch noch ein paar Minuten verweilen und die Szenerie auf uns wirken lassen. Denn auf der Dr. Sun Yat-sen Plaza im Columbus Park spielen sich merkwürdige Szenen ab: Ein Mann sitzt an einem der Schachbretttische und verbrennt bei Lolli und Bier kleine Blätterhaufen. Ein anderer Mann überträgt mit einem Headset und Lautsprecher die Unterhaltung mit seiner Banknachbarin und beginnt im Anschluss, asiatische Lieder zu intonieren. Daneben sitzen zwei Mädchen und singen Karaoke zu Richard Sandersons „Reality“. An einem anderen Tisch wird an einem Schalter aus Pappe „psychiatrische Beratung“ für fünf Cent angeboten und rege genutzt. Dazwischen wird gegessen, Karten gespielt, ein technisches Gerät zerlegt, und und und … Wir sitzen und staunen und verstehen am Ende doch überhaupt nichts.
Kur vor unserer Haltestelle kommen wir noch ganz ungeplant an New Yorks mysteriösestem Gebäude vorbei. 33 Thomas Street ist ein fensterloser Wolkenkratzer mitten in Manhattan und Anlass für allerlei Verschwörungsmythen. Letztlich handelt es sich dabei um ein stark gesichertes Kommunikationszentrum, dass wohl auch der NSA als Abhörzentrum dient oder gedient haben soll. Jedenfalls seltsam, diesen Betonklotz zwischen Wohn- und Geschäftshäusern stehen zu sehen. Einen künstlerischen Eindruck des brutalistischen Baus bekommt man in diesem Video.
Heute am Montag geht es für uns weiter durch Manhattan, u.a. wollen wir im legendären Katz Delicatessen zu Mittag essen und am Abend die Halloween-Parade anschauen. Darüber aber berichten wir erst beim nächsten Mal.