Gerade ist alles ein bisschen schwer. Wir haben den Florida Blues und fühlen uns ein wenig ermattet. Vielleicht wegen der Moskitos und anderer Plagegeister, die uns in den Everglades ziemlich zugesetzt und uns jeden Abend ins Wohnmobil gezwungen haben. Vielleicht wegen der (erneuten) Anpassung an wieder einmal neue klimatische Bedingungen. Vielleicht, weil das WIFI hier auf dem Larry and Penny Thompson Campground immer wieder aussetzt und auch das mobile Internet zu wünschen übrig lässt. Vielleicht, weil die Leertaste an unserem Laptop schon wieder hängt und deswegen das Tippen total anstrengend ist. Mit Sicherheit jedoch kommt das schwere Gefühl auch daher, dass wir seit Tagen den Abschied von unserem Wohnmobil vor Augen haben und spätestens seit gestern mit Aufräumen, Wegpacken und Aufbrauchen beschäftigt sind. Alles hat einmal ein Ende.
Sich schließende Kreise
Auf den Outerbanks hatte sich vor einiger Zeit bereits ein Kreis für uns geschlossen – vom Atlantik zum Pazifik und zurück. Heute, an unserem letzten Tag auf einem Campingplatz, sind weitere sich schließende Kreise hinzugekommen: Wir sind wieder in Miami. Die Stadt, in der wir vor genau 88 Tagen zum ersten Mal in unserem Leben in die USA eingereist sind. Nach unseren wenigen Tagen in Costa Rica, ausgerechnet am heutigen Tag Gegner der deutschen Nationalmannschaft bei der Fußball-Weltmeisterschaft der Männer. Nach unseren fünf Wochen in Peru, die wir heute bei original peruanischem Essen im Restaurant Kusa Peruvian Kitchen in Miami mit Lomo Saltado und Inca Kola noch einmal nachgeschmeckt haben. Jetzt sitzen wir einen letzten Abend in unserem Mini-Wohn-Esszimmer und im Kofferraum liegen gepackte Taschen und Koffer. Morgen dann noch ein Tag im Flughafenhotel. Mal schauen, ob wir es dort mit Pool, TV und schnellem WLAN aushalten oder ob uns der Rappel packt und wir mit dem Bus für ein leckeres Abendessen nach Miami an die Bayfront fahren. Vielleicht noch einmal der Berg Nachos mit Käse, Chicken Wings und Baby Back Ribs mit Fries. Um noch einen Kreis zu schließen. 🙂
Not only a dark, damp swamp!
Diese Aussage hören wir mehrfach während unserer Tage in den Everglades: Die riesige Naturlandschaft ist viel mehr, als nur ein dunkler und feuchter Sumpf. Mindestens sechs verschiedene Ökosysteme kann man in den Everglades direkt nebeneinander erleben: maritime Küstengebiete, Mangrovensümpfe, Zypressenwälder, den „River of Grass“ – ein bis zu 60 Kilometer breites Frischwasser-Marschland, die letzten Kiefernbestände Süd-Floridas sowie tropische Laubwälder mit Gumbo-Limbo- und Mahagoni-Bäumen. Dabei sind die Everglades nicht auf die Fläche des gleichnamigen Nationalparks begrenzt. Auch das sich im Norden an den Park anschließende Naturschutzgebiet Big Cypress National Preserve sowie weitere Gebiete (State Forest, State Park, National Wildlife Refuge, usw.) werden dem Gesamt-Ökosystem Everglades zugeschlagen. Dabei hat dieses durch den Bau von Straßen und insbesondere der immer massiveren Ausdehnung des Großraums Miami im vergangenen Jahrhundert bereits einen großen Teil seiner Fläche eingebüßt. Dies betrifft neben den durch Baumaßnahmen verloren gegangenen Waldgebieten hauptsächlich den langsam über die Prärielandschaft ziehenden Frischwasserfluß. Dieser hat früher vom Lake Okeechobee bis zur Südspitze über ein Drittel der Halbinsel Florida bedeckt, wurde dann allerdings durch den Bau der Straßenverbindungen von West nach Ost radikal unterbrochen, was die Fläche des einzigartigen Feuchtgebietes schlagartig massiv verkleinert hat. Wie in keinem anderen Park zuvor wird uns bei unserem dreizehnten und letzten Besuch eines US-Nationalparks deutlich, wie fragil und gefährdet die auf diese Weise geschützten Ökosysteme sind, wie sehr die unterschiedlichen Interessen hinsichtlich der Nutzung des Landes gegeneinander stehen und wie schwierig es offenkundig ist, all das harmonisch gegeneinander abzuwägen.
Das alles und noch viel mehr über die Everglades erfahren wir bei einem spannenden und äußerst kurzweiligen Spaziergang mit einem Ranger auf dem Anhinga Trail – dem vermutlich bekanntesten Wanderweg des Nationalparks. Wobei sich die meisten Wanderungen in den Everglades auf kurze, informative Rundwege durch den Wald oder auf Holzstegen durch eines der verschiedenen Feucht-Habitate beschränken. Es ist am Boden dann doch meistens zu nass und durch die bodenlebende Tierwelt zu gefährlich, um ausgedehnte Wanderungen unternehmen zu können. Zumindest nicht ohne entsprechende Ausrüstung und Vorbereitung.
See you later …
Wir haben dann doch keine Strichliste geführt, aber es waren viele Alligatoren, die wir zu Gesicht bekommen haben: Mit Sicherheitsabstand aus dem Wohnmobil heraus bei unserer Fahrt über die Loop Road im Big Cypress National Preserve. Ebenfalls mit Abstand auf den verschiedenen Wanderungen über die Holzstege entlang der Hauptstraße durch den Everglades NP. Dann aber auch ganz nah und bedrohlich grollend am Wegesrand auf unserer Fahrradtour durch das Shark Valley. Den Fotoapparat haben wir an dieser Stelle besser nicht herausgeholt und uns lieber voll darauf konzentriert, an einem über unsere Anwesenheit offensichtlich nicht erfreuten Tier zügig vorbeizufahren. Ein aufgerissenes Maul macht bei Raubtieren doch ziemlich Eindruck. Das grollende Geräusch dürfen Tourist:innen i.Ü. nur recht selten zu hören bekommen, so die Info des Rangers am nächsten Tag. Wir hören es auf dem Rückweg unserer Fahrradtour recht häufig, und jedes Mal ist es mächtig beeindruckend.
See you in your next life
Sehr viel mehr haben wir den Moskitos und No-See-Ums nicht zu sagen. Also zumindest denen, die wir erwischt haben. Die ersten drei Tage auf dem Midway Campground und Long Pine Campground ist es ja noch erträglich – erst mit Einbruch der Dämmerung werden wir dort von Schwärmen von winzigen, beißenden Mistviechern ins Wohnmobil getrieben. Gar nicht mehr amüsant sind dann unsere beiden Tage auf dem Flamingo Campground an der Florida Bay: Kaum an der frischen Luft, überfällt uns die größere und stechende Verwandtschaft der winzigen Plagegeister. Dicke, juckende Pusteln sind die Folge. Unser Bite Away schuftet im Dauereinsatz. An draußen sitzen oder spazierengehen ist nicht zu denken. Und so verbringen wir zwei Tage etwas betrübt und eingeschränkt bei herrlichem Wetter im Wohnmobil. Also nicht ganz, denn bei unserer Kanutour auf dem offenen Gewässer der Florida Bay lassen uns die Moskitos dann doch in Ruhe. Und immerhin wird die anstrengende Tour gegen den Wind und die Wellen belohnt durch die Sichtung von einem der wildlebenden Flamingos, nach denen dieser Teil der Everglades benannt ist. Wie man allerdings freiwillig im Sommer während der Regenzeit in die Everglades fahren kann, wenn die Plagegeister millionenfach unterwegs sind, erschließt sich uns nach dieser juckenden Erfahrung nicht so ganz. Aber gut, jeder Jeck ist anders! 🙂