Norwegen begrüßt uns grau in grau. Und hier oben ist es gleich mal um einige Grad kälter als in Finnland. Was nach den vielen heißen Tagen gar nicht so verkehrt ist. Außerdem müssen wir so oder so erst einmal zum Baumarkt, kleinere Reparaturen am Wohnmobil stehen an. Im Anschluss folgt die übliche Routine aus Entleerung und Wasserversorgung. Das erledigen wir im Hafen von Kirkenes, freundlicherweise gratis und mit direktem Blick auf die MS Nordkapp. Kirkenes ist Endstation der legendären Postschifflinie Hurtigruten und heute morgen ist die Nordkapp pünktlich auf die Minute mit lautem Getöse im Hafen angekommen. Tja, hätten wir da bereits gewusst, dass man die legendären Schiffe während der Liegezeiten als Landratte besuchen und an Bord einen Kaffee trinken kann. Wir hätten uns den Spaß nicht entgehen lassen. Leider finden wir das erst am nächsten Tag heraus, als ein weiteres Postschiff um 12.30 Uhr gerade den Hafen von Kirkenes verlässt. Schade, aber vielleicht schaffen wir einen Besuch an Bord in einem der anderen 35 Häfen, die von der Hurtigruten bedient werden.

Grenzerfahrungen

Ein weiteres Mal machen wir die Bekanntschaft mit der Grenze zu Russland. Storskog heißt der kleine Ort, an dem der einzige passierbare Grenzübergang von Norwegen nach Russland liegt. Hier endet gleichzeitig der Schengen-Raum. Ausgestattet mit entsprechenden Visa könnten wir jetzt in das Kriegsland einreisen und die Strecke in Richtung Murmansk fahren. Das machen wir selbstverständlich nicht, wir wollen viel lieber nach Grense Jakobselv. Wer die knapp 50 Kilometer lange Schlagloch- und Schotterpiste zum nord-östlichsten Weiler Norwegens nicht scheut, wird am Ende der Straße mit atemberaubenden Ausblicken auf die Barentssee und zur Mitternachtssonne belohnt. Ein bisschen fühlt es sich an, wie am Ende der Welt. Und viel kommt ja auch nicht mehr in den weiten Gewässern des Arktischen Ozeans.

Und dann noch einmal Russland: auf den letzten zehn Kilometern der Strecke nach Grense Jakobselv erleben wir eine Skurrilität, die es vermutlich nur hier gibt. Die Straße folgt dem Fluss Jakobselva, der die Grenze von Norwegen und Russland bildet. Somit nähern wir uns zwangsläufig bis auf wenige Meter dem russischem Staatsgebiet, könnten an manchen Stellen in wenigen Sekunden durch das flache Gewässer hinüber gelangen. Gelbe und rot-grüne Pfosten markieren die Territorien der beiden Länder an den Ufern. So nah und doch so fern. Junge Wehrdienstpflichtige der norwegischen Heimwehr patroullieren die Straße entlang und winken uns freundlich zu. Sie sorgen dafür, dass es hier oben ruhig bleibt und sich Besucher:innen an die überall auf Schildern ausgewiesenen Regeln halten. Unter anderem daran, dass bereits eine Kontaktaufnahme oder gar Gespräche über die Grenze hinweg genauso verboten sind, wie das Fotografieren oder Filmen von Militärangehörigen und Gerätschaften auf russischer Seite. Offiziell ist also nicht einmal ein freundliches Winken erlaubt. 🙁 So nah – und doch so fern.

Wie voll sind die Gasspeicher?

Eine Frage, die nicht nur den deutschen Boulevardjournalismus, sondern auch Reisende mit einem Wohnmobil regelmäßig umtreibt. Bei uns ist die Antwort eindeutig: sie sind leer! Über Nacht hat der Kühlschrank die letzten Reste aus unseren Propangas-Flaschen herausgenuckelt. Jetzt ist guter Rat teuer, denn kaum etwas ist in Europa derart uneinheitlich geregelt, wie die Versorgung mit Propangas. Nahezu jedes Land hat seine eigenen Standards was Flaschendimensionen und Anschlüsse angeht. Und nicht überall lassen sich deutsche Gasflaschen problemlos wiederbefüllen. Es ist kompliziert und eine einheitliche Regelung tut dringend not. Aus diesem Grund haben wir uns bereits vor der Abfahrt ganz im Stil von Robert Habeck auf die Suche nach potentiellen Verkäufer:innen und Lieferant:innen für den fürs Kochen und Warmwasser so wichtigen Stoff gemacht. Und sind prompt einer Falschmeldung aufgesessen, denn anders als im Internet angegeben, konnten wir in Estland keinen Refill unserer leeren deutschen Flasche bekommen. Jetzt also ist der Vorrat aufgebraucht, und die einzige Befüllstation von LPG Norge hier oben in der Provinz Troms og Finnmark ist in Alta. Das liegt grad gar nicht auf unserem Weg und bedeutet 200 Kilometer Umweg, einmal von Olderfjord über die Hochebene Sennalandet nach Süden und das Ganze wieder zurück. Und nicht nur das, auf unserem Rückweg vom Nordkap kommen wir dann auch noch ein drittes Mal hier vorbei. Nun denn, hilft alles nichts, es muss sein. Wenigstens bewegen wir uns in einer spektakuläre Landschaft. Die kann man sich auch mehrmals anschauen. 🙂

Bereits am Tag zuvor fahren wir über das Ifjordfjellet, eine ebenfalls beeindruckende Hochebene. Wir fühlen uns wahlweise an Schottland, Peru oder bestimmte Landschaften in den USA erinnert. Traumhaft schön, endlos weit. Am Abend parken wir an einer einsamen Straße bei Børselv, mutterseelenallein und mit atemberaubendem Blick über den Porsangerfjord. Dass wir am nächsten Morgen im kleinen Self-Service-Dorf-Café am Coop Marked Børselv Kaffee und Tee zum Selbstkostenpreis bekommen und somit unseren Gasmangel vergessen machen, ist dann noch das Tüpfelchen auf dem i.

Nordkap

Bereits die Fahrt ist spektakulär: durch den knapp sieben Kilometer langen Nordkaptunnel geht es auf die Insel Magerøya, danach weitere 45 Kilometer über Honningsvåg bis zur Einfahrt auf das weltweit bekannte Hochplateau auf über 71 Grad nördlicher Breite. Glücklicherweise gilt nach einem Gerichtsurteil vom 7. Juli 2021 auf dem gesamten Kap wieder das Jedermannsrecht, was uns im Vergleich zur Zeit davor fast 50 Euro Parkgebühren spart. Nach wie vor sehr teuer ist allerdings der Eintritt in die privat geführte Nordkaphalle. Fast 30 Euro kostet es laut der Internetseite für eine erwachsene Person, um das Gebäude mit einer kleinen Ausstellung, einem Restaurant und Souvenirshop überhaupt betreten zu dürfen. Und dann hat man noch nichts gegessen, getrunken oder gekauft. Eine etwas seltsame Geschäftspolitik finden wir und bleiben lieber draußen. Vermutlich machen sie dort auch ohne uns genügend Umsatz mit den zahllosen Kreuzfahrttourist:innen, bei denen das Eintrittsgeld im Gesamtpreis der Reise vermutlich nicht weiter auffällt.

(Update: um 21.30 Uhr laufen wir noch einmal zur Nordkaphalle, und da uns und alle anderen niemand kontrolliert, gehen wir einfach mal rein. Tatsächlich müssen wir nirgendwo Eintritt bezahlen, niemand hindert uns daran, herumzulaufen, den Imagefilm anzuschauen und im Souvenirshop ein kleines Andenken und Postkarten zu kaufen. Vielleicht liegt es daran, dass wenige Minuten zuvor die mehr als 800 Passagiere der MS Amera angekommen sind und es viel zu aufwendig ist, an beiden Eingängen entsprechend zu kontrollieren. Finden wir gut so, ein Besucher:innenzentrum sollte frei zugänglich sein.)

Dann sind wir endlich oben, am Nordkap. Wendepunkt im dritten und letzten Teil unserer Weltreisen. Wir haben mal wieder in mehrfacher Hinsicht Glück: das Wetter ist prächtig, wir finden einen Parkplatz in der vordersten Reihe und es ist nahezu menschenleer – zumindest für diesen Hotspot und zu dieser Jahreszeit. Die Reisenden der Hurtigruten sind noch nicht da (bei der Fahrt durch Honningsvåg sehen wir die Busse bereit stehen) und es ist auch kein weiteres Kreuzfahrtschiff im Hafen festgemacht. Wir haben den berühmten Globus, das Mitternachtssonnen-Denkmal und die grandiosen Ausblicke fast für uns alleine (zusammen mit einer überschaubaren Anzahl von Besucher:innen, die mit Fahrrädern, Motorrädern, Wohnmobilen oder zu Fuß hier her gereist sind) und müssen uns nicht zwischen tausenden Passagieren der Riesenpötte einen Weg bahnen.

Später am Tag gießt uns das Wetter dann doch einen Tropfen Wasser in den Wein: es zieht zu. Und zwar schnell und heftig! Und jetzt um 20.30 Uhr sitzen wir noch immer inmitten einer ordentlichen Nebelsuppe und müssen uns so langsam damit arrangieren, dass das mit der Mitternachtssonne am Nordkap vermutlich nichts wird. Aber warum sollten wir uns beschweren. Und wer weiß, die Nacht hier oben ist lang.

Update 23.30: Ein bissle Sonne sehen wir dann doch noch, eine ziemlich apokalyptische Stimmung:

2 Kommentare

  1. Ob die Einwohner von Storskog wohl ein Leuchten am Horizont gesehen haben, als die Russen über Nowaja Semlja die Zar-Bombe gezündet haben? Zwischen beiden Orten liegt nur die Barentsee. Laut Wikipedia sind in Norwegen und Finnland damals Fensterscheiben zerbrochen.

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