Schymkent ist für uns nur eine Durchgangsstation. Entsprechend schenken wir der Stadt nicht allzu große Aufmerksamkeit. Das wird der drittgrößten Stadt in Kasachstan möglicherweise nicht ganz gerecht, aber wir benötigen erst einmal wieder Zeit, um einige Dinge für unsere Tage in Usbekistan zu organisieren. Am Nachmittag machen wir uns dann auf, ein paar Ecken der Stadt zu erkunden und starten im Independence Park ganz in der Nähe unseres Hotels. Der Park wurde 2011 zum 20-jährigen Jubiläum der Unabhängigkeit eröffnet und ist im Sommer mit viel Grün, seinem großen Brunnen und den Wasserspielen sicherlich ein schöner Erholungsort im Herzen der ansonsten lauten und vom Autoverkehr dominierten Millionenstadt. Gleich ums Eck in Richtung unseres Hotels ist eine zentrale Omnibushaltestelle, an der ein ständiges Kommen und Gehen sowie nervtötendes Dauergehupe vorherrscht. Da tut es gut, im winterlichen Park mit seinen verschiedenen Gedenktafeln etwas Ruhe zu tanken.
Dann machen wir uns wieder einmal auf zu kulinarischen Genüssen. Im Restaurant Kok-saray soll es die beste uigurische Küche der Stadt geben. Also nix wie hin, zumal wir so doch noch zu einem ausgedehnten Stadtspaziergang kommen – das Restaurant ist gut zwei Kilometer entfernt. Unser erster Eindruck verstärkt sich mit jedem Meter, den wir die Straßen entlang gehen: Schymkent ist keine Stadt mit touristischen Highlights (bzw. sind diese für uns in der Kürze der Zeit nicht so offensichtlich zu finden). Alles wirkt in die Jahre gekommen, ein neuer Anstrich würde vielen Gebäuden und dem gesamten Erscheinungsbild zugute kommen. Gleichzeitig ist es interessant, durch den kasachischen Alltag zu gehen und „normales“ Großstadtleben mitzubekommen. Und bei blauem Himmel würde es so oder so noch einmal ganz anders aussehen. Aber dazu später mehr.
Im Kok-saray werden wir nicht enttäuscht: toller Service, grandioses Brot und der beste Pilav unseres Lebens. So oft hatten wir dieses Gericht ja noch nicht, aber im Ernst: wir speisen wirklich vorzüglich. Mal wieder. 🙂 Auf dem Heimweg lässt es sich Amina nicht nehmen, am Busbahnhof noch eines dieser leckeren Brote zu kaufen – das Leipioskka wurde vor einer Minute frisch aus dem Ofen gezogen. Ein Kunstwerk!
Nachtzug mal anders
Ungarn, Rumänien, Bulgarien, Türkei, Georgien, Armenien, Kasachstan: bei unseren bisherigen Fahrten mit Nachtzügen sind wir jedes Mal sehr komfortabel und in modernen Abteilen gereist. Es gab frische weiße Bettwäsche, flauschige Kissen, einigermaßen bequeme Matratzen und sogar Handtücher. Daher sind wir mittlerweile etwas verwöhnt, und als um kurz nach 22 Uhr ein Zug der Oʻzbekiston Temir Yoʻllari auf Gleis 2 des Schymkenter Bahnhofs heranrumpelt, schauen wir erst einmal etwas erstaunt: alt und klapprig sind die Wagons, der ganze Zug sieht ordentlich angestaubt aus und die Kohleöfen rußen schwarzen Rauch in den Schymkenter Nachthimmel. Na das kann ja lustig werden.
Wir werden von zwei etwas uninteressiert wirkenden Schaffnern hinein gebeten und zu unserem Abteil gebracht. Das ist eng und stickig, das Fenster lässt sich nicht öffnen. Wäre auch kontraproduktiv, es riecht so schon viel zu sehr nach Kohleofen hier drin. Richtig sauber ist es nicht, die Lampen gehen nur zum Teil und einige Reparaturen müssten auch mal gemacht werden. Von Bettwäsche fehlt jede Spur, es ist aber eh viel zu warm, um eine Bettdecke zu verwenden. Glücklicherweise ist es ausgesprochen ruhig, viel ist nicht los in diesem alten Gefährt russischer Bauart. Vielleicht wird es ja doch eine angenehme Nacht?
Hart an der Grenze Teil 1
Wie falsch wir doch liegen. Denn irgendwann nach nur wenigen Stunden Halbschlaf geht sie los: die umfassende, umständliche, unfreundliche und unnötig in die Länge gezogene Grenzkontrolle. Zunächst kommen die kasachischen, später die usbekischen Grenzbeamt:innen und Soldat:innen. Pässe abgeben, ins mobile Lesegerät einlesen, in die Kamera schauen, Gepäck aufmachen, Fragen beantworten – und das alles nur, um Kasachstan verlassen zu dürfen. Zig Personen laufen durch den Gang, vermutlich mehr als insgesamt Fahrgäste im Wagon sind. Jeder und jede steckt den Kopf ins Abteil, inspiziert, kontrolliert, will was wissen. Immer schön bei Licht an und Tür auf, mitten in der Nacht. Niemand kommt auf die Idee, uns mit Informationen zu versorgen, z.B. ob wir uns wieder hinlegen oder wenigstens das taghelle Licht ausmachen können. Die beiden usbekischen Schaffner sind auch keine Hilfe und laufen die ganze Zeit mit devot gesenkten Köpfen den Grenzbeamt:innen hinterher. Irgendwann ist es vorüber, der Zug zuckelt weiter und auf usbekischer Seite wiederholt sich die nervige Prozedur, glücklicherweise zeitlich etwas gestrafft. Wir merken einmal mehr, was für eine herausragende zivilisatorische Errungenschaft der europäische Schengen-Raum ist. Wie schön wäre es, wenn Grenzen auf der ganzen Welt für alle Menschen so unkompliziert überquert werden könnten, wie für uns mit einem deutschen Reisepass innerhalb Europas. Ein erstrebenswertes Ziel alleine schon deswegen, damit man Nachts im Zug länger schlafen kann. 🙂
Hart an der Grenze Teil 2
Wetter – echt jetzt? Du bist auf dieser Reise definitiv unser Endgegner. Nebel und Dauerregen, wir haben es so satt. Taschkent versinkt, tiefe Pfützen stehen in den Straßen und auf den Gehwegen. Alles ist klamm und unwirtlich. Das ist hart an der Grenze des Erträglichen. Am liebsten würden wir schon wieder im Hotel bleiben, aber das geht ja auch nicht bei unserem einzigen Tag in der usbekischen Hauptstadt. Also die Schirme und Stiefel raus und ab in ein paar Museen.
Im polytechnischen Museum sehen wir wie schon in Tbilisi einige historische Kraftfahrzeuge und lernen etwas über die Geschichte der großen Automobilfabrik in Asaka, in der die in den Straßen allgegenwärtigen Chrysler-Modelle gefertigt werden und auf die sie hier mächtig stolz sind. Mindestens genauso stolz sind sie auf ihren Nationalhelden Timur, einem turko-mongolischen Eroberer und Heerführer aus dem 14. Jahrhundert, dem im staatlichen Temuridenmuseum ziemlich unkritisch gehuldigt wird. Das Gebäude ist wunderschön, die Geschichte rund um Timur allerdings nicht nur nett, feundlich und positiv, wie es die ausgestellten Artefakte, Modelle und Informationen vermitteln wollen. Zum zentralen Platz, auf dem der zu seiner Zeit offensichtlich brutale Tyrann freundlich zu uns herab grüßt, gehen wir daher auch nicht seinetwegen, sondern um das Hotel Uzbekistan anzuschauen. Hat auch schon bessere Tage gesehen, dieser riesige Klotz aus sowjetischer Ära. Im Übrigen ist auffällig, dass das gesamte Innenstadtbild sehr kommunistisch-monumental geprägt ist. Was vor allem daran liegt, dass die Taschkenter Innenstadt bei einem schweren Erdbeben im Jahr 1966 fast vollständig zerstört worden und im Anschluss mit Unterstützung vieler Arbeiter:innen aus allen Teilen der Sowjetunion als Vorzeigestadt wieder aufgebaut worden ist.
Mit der Metro fahren wir zum Fernsehturm, den wir uns allerdings nur von unten aus anschauen. Es ist viel zu neblig um von oben in die Ferne oder auf die Stadt zu blicken. Da machen wir lieber einen Spaziergang durch die umliegenden Sportanlagen und fühlen uns spontan an die Degerlocher Waldau erinnert. Und als wäre der räumliche Zusammenhang von Fernsehturm und Sportanlagen noch nicht genug Parallele zur baden-württembergischen Landeshauptstadt, entdecken wir auf einem Transparent den FC Stuttgart Taschkent. Wir staunen nicht schlecht, was ist das denn? Leider ist niemand da, den wir fragen können. Und auch unsere abendliche Internetrecherche fördert keine ausreichende Erklärung zu Tage. Wir finden lediglich heraus, dass unter dem Signet FC Stuttgart Fussballschulen in Russland und angrenzenden Ländern betrieben werden. Wer dahinter steckt und woher der Name kommt, bleibt für uns erst einmal im Dunkeln. Vielleicht möchte ja jemand aus unserer Leserschaft mit einer Affinität zum beliebten Ballsport eine vertiefende Recherche für uns übernehmen? Wir sind brennend interessiert.
Habt Ihr Euch mal die Homepage des FC Stuttgart angeschaut? Hauptsitz in Moskau. Vielleicht hat der Name „Stuttgart“ in dortigen Fussballerkreisen noch (hehe) einen guten Klang? Es wird mit deutschen bzw. europäischen Trainingsmethoden und Bezügen nach Deutschland geworben.
https://fcstuttgart.com/
Der Gründer scheint eher einen Bussiness-Hintergrund zu haben.
https://www.facebook.com/pugaev.igor/
Ja, das es was mit Russland zu tun hat, hatte ich bereits herausgefunden. Wer dieser Pugaev Igor oder Igor Pugaev ist, darüber allerdings noch nicht so viel. Wäre interessant, dessen Verbindungen nach Stuttgart zu kennen. Vielleicht gibt es ja Verbindungen zu Pavel Pogrebnyak, der war ja mal beim VfB. Oder zu Alex Hleb, wobei der Belarusse ist.