Istanbul wächst und wächst und wächst. Unfassbar, welche Ausmaße die Metropole am Bospurus mittlerweile angenommen hat. Vor 13 Jahren war Henrik zuletzt hier und immer noch kommen neue Stadtviertel, Wolkenkratzer und riesige Moscheen am Horizont hinzu. All das sehen wir vom Galataturm aus, einem der schönsten Aussichtspunkte in der zentralen Innenstadt. Da Junes noch nie in Istanbul war, klappern wir selbstverständlich all die Highlights ab, die rund ums Goldene Horn auf engem Raum beieinander liegen: Blaue Moschee (leider geschlossen), Hagia Sophia, Galataturm, Fischbrötchen essen auf der Galatabrücke und diverse Fahrten mit den legendären Bosporus-Fähren. Und dann passiert es: als die Männer der Familie abends alleine unterwegs sind und von Asien zurück nach Europa fahren wollen, steigen sie auf das falsche Boot und landen statt in Eminönü irgendwo hinter Beşiktaş. Wie gut, dass der ÖPNV in Istanbul nicht so teuer ist und die beiden mit Bus und Straßenbahn am Ende doch noch sicher zurück ins Hotel finden. Für Henrik jedenfalls eine Erinnerung an ein Ereignis vor vielen Jahren. Damals war es in Travemünde noch möglich, ohne vorherige Ticketkontrolle auf eine Fähre zu fahren um anschließend erst beim Parken im Bauch des Schiffes zu erfahren: „You’re on the wrong ship“ (Finnland statt Schweden). Manch einer der Mitlesenden wird sich erinnern. 🙂

Bei einer anderen Fährüberfahrt entdecken wir plötzlich rätselhafte Lichtzeichen am Himmel. Gebannt blicken wir nach draußen, werden wir doch offensichtlich Zeugen eines extraterrestrischen Ereignisses. Klar, das können nur UFOs sein. Im Formationsflug begleiten sie unsere Fähre und tanzen am Himmel. Spooky. Kaum wenden wir den Blick, sehen wir auch schon einen knallroten Fleck am Horizont. Offensichtlich tritt gerade das Mutterschiff in die Erdatmosphäre ein. Eine andere Erklärung kann es nicht geben. Es scheint, dass unsere Botschaft, die wir in der Black Mailbox in Nevada hinterlassen haben, zugestellt und gelesen worden ist. Glaubt es uns oder lasst es bleiben. 🙂 Wir sagen jedenfalls: Herzlich willkommen, Marsianer!

Im Museum der Unschuld

Am nächsten Tag besuchen wir das Museum der Unschuld. Die Ausstellung in einem kleinen Eckhaus in Beyoğlu korrespondiert inhaltlich mit der Geschichte aus Orhan Pamuks gleichnamigen und grandiosem Roman. Der türkische Literatur-Nobelpreisträger hat Buch und Museum von Anfang an parallel entwickelt, quasi als künstlerisches Gesamtprojekt. Vier Jahre nach der Veröffentlichung des Romans wurde das Museum im Jahr 2012 eröffnet und präsentiert seither zentrale Objekte aus der tragischen Liebesgeschichte des Industriellensohns Kemal und seiner entfernten Verwandten Füsun. Für Henrik ein großartiges und sehr aktuelles Erlebnis: er ist begeisterter Leser der Bücher von Orhan Pamuk und hat den Wälzer während der Amerika-Reise im letzten Jahr verschlungen. Jetzt wandelt er vertraut an den Vitrinen voller Alltagsgegenständen entlang und schwelgt in Erinnerungen an das bildgewaltige Zeit- und Gesellschaftsporträt einerseits und an die entspannten Lesemomente in den Weiten der USA andererseits.

Eine unerwartete Reise

Die Idee war gut. Doch die türkische Eisenbahn noch nicht bereit. Wir hatten eigentlich vor, mit dem Zug quer durch die Türkei zu fahren. Doch anders, als wir es noch im Januar bei Testbuchungen beobachtet haben, werden einfach keine Plätze im notorisch ausgebuchten Dogu-Express von Ankara nach Kars frei (normalerweise werden ein bis zwei Tage vor Abfahrt bereits reservierte Plätze wieder verfügbar). Gleichzeitig ist dies der einzige Zug, der täglich in den Osten der Türkei fährt. Und als wäre das nicht genug, sind auch sämtliche Züge von Istanbul nach Ankara am 29 und 30. Januar ausgebucht und keinerlei Sitzplätze mehr erhältlich. Wir fangen an uns zu informieren und stoßen auf eine naheliegende Erklärung: in der Türkei sind Ferien, genauer gesagt Sportferien, und vermutlich sind die Züge deswegen komplett voll. Dazu passt auch ins Bild, dass wir in Istanbul viele inländische Tourist:innen treffen, die in den Ferien die große Metropole besuchen. Die Erkenntnis hilft uns allerdings nicht weiter, wir müssen neu planen. Am Ende entscheiden wir uns aus praktischen Gründen, die Türkei zu überfliegen und buchen einen Flug von Istanbul nach Rize. Richtig happy sind wir mit dieser Entscheidung nicht, aber alle anderen Optionen (mehrere Etappen mit dem Bus, Mietwagen, mit der Fähre ab Bulgarien übers Schwarze Meer) würden die Zeit in unseren nächsten beiden Reiseländern Georgien und Armenien sehr verkürzen. Und eine 24-Stunden Bustour über Nacht und quer durchs Land wollen wir uns nicht antun. Daher machen wir uns am Montag früh auf zum neuen und riesigen Flughafen Istanbul im Norden der Stadt und landen am Nachmittag an der türkischen Schwarzmeerküste.

Erdogan, Tee, frischer Fisch

Statt Winter in Kars haben wir jetzt also Frühling am Schwarzen Meer. Bei warmem Wetter wandern wir durch Rize, vorbei an den riesigen Bildern zu Ehren des Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan, der hier seine Kindheit verbracht hat. Wir steigen hinauf zur Burg, von wo aus wir einen herrlichen Blick auf die wuselige Stadt und das Meer haben. Und uns gelingen endlich wieder ein paar schöne Tierfotos. Katzen gibt es in der Türkei offensichtlich in jeder Stadt. Anschließend besuchen wir das Heimatmuseum sowie das Atatürk-Haus und finden ein wunderbares Restaurant, in dem uns fangfrischer Fisch gegrillt, frittiert und serviert wird. Die lokale Spezialität sind kleine Sardellen – Hamsi – die wir am Abend zuvor in großen Mengen am Fischmarkt zum Verkauf ausliegen sehen. Ein Genuss! Ansonsten schauen wir uns noch die überdimensionierte (und nachts beleuchtete) Teetasse an der Uferpromenade an, die eine kleine Ausstellung und ein Kino beherbergt. Die Region rund um Rize ist Hauptanbaugebiet für türkischen Tee, 65 Prozent der Landesproduktion findet hier statt und der größte Hersteller für türkische Teeprodukte hat seinen Sitz in Rize.

გამგზავრება საქართველოში

Das georgische Alphabet werden wir vermutlich nicht lernen. Glücklicherweise stehen die wichtigen Dinge auch auf Englisch angeschrieben und zur Not hilft die moderne Technik mit Texterkennung und Übersetzungsapps. Spannend bleibt es trotzdem, in einem Land anzukommen, wo wir sprachtechnisch völlig verloren und hilflos sind und es schon Hand und Fuß und Zeichensprache bedarf, um am Kiosk die Tickets für den Linienbus zu erhalten (bzw. die moderne und mit 2 Lari aufgeladene Batumi-Card). Tickets für die georgische Eisenbahn hingegen kann man sehr entspannt und mit wenigen Klicks online kaufen, weswegen wir uns jetzt sehr auf die nächste Tage freuen, in denen wir mit dem Zug von Stadt zu Stadt bis nach Tbilisi tingeln werden.

Busfahrt nach Batumi

Nach dem Frühstück im Rhisos Otel traben wir am Morgen samt unserem Gepäck zum Busbahnhof in Rize um von dort mit einem völlig überheizten Kleinbus nach Sarp an der türkisch-georgischen Grenze zu fahren. Wir sind keine 500 Meter unterwegs, als auf der Gegenfahrbahn ein großer Reisebus ungebremst auf einen langsamer werdenden Kleinbus auffährt. Ein lauter Knall, berstende Scheiben. Glücklicherweise für alle Beteiligten ist die Geschwindigkeit innerorts nicht allzu hoch. Als wir nach wenigen Minuten im Kreisverkehr wenden, auf die Schnellstraße auffahren und noch einmal an der Unfallstelle vorbeikommen sehen wir, dass alle Beteiligten des Unfalls den Umständen entsprechend ruhig am Gehweg stehen und diskutieren. Offensichtlich ist niemand schlimmer zu Schaden gekommen. Eine Erinnerung daran, dass Busfahren in vielen Ländern aufgrund von Übermüdung oder Unachtsamkeit der Fahrer:innen schnell gefährlich werden kann. Auch unser Chauffeur hat es nicht ganz so mit den Verkehrsregeln und immer wieder das Smartphone in der Hand um zu lesen oder zu tippen. Ich nehme mir fest vor, von meinem Sitz in der ersten Reihe aus altkluge Ratschläge zu erteilen, sollte der Mann uns ernsthaft in Gefahr bringen. Was glücklicherweise nicht nötig ist: er bringt die Fahrt souverän zu Ende und spuckt uns vor einem heruntergekommenen türkischen Grenzgebäude aus.

Zusammen mit einem Haufen recht abgerissener Gestalten sammeln wir unser Gepäck und machen uns auf den Weg zur Ausreise aus der Türkei. Vieles hier ist kaputt, die Hälfte der Rolltreppen und -bänder funktioniert nicht, überall im Gebäude gibt es Baustellen. Aber auch die Menschen, die hier zu Fuß auf dem Landweg die Grenze überqueren, wirken in Teilen heruntergekommen, verwirrt und überfordert. Viele stehen samt ihrem Gepäck in Tüten und Taschen vor dem Gebäude und machen den Eindruck, nicht genau zu wissen, wohin und wie weiter. Kein schöner Ort und eine unangenehme Atmosphäre, aber eben auch eine Realität für viele Menschen hinsichtlich Arbeitsmigration, Flucht oder Heimatlosigkeit.

Die Einreise im futuristisch anmutenden und gepflegteren georgischen Grenzgebäude verläuft dann weitestgehend reibungslos. Lediglich bei Junes hat der Grenzbeamte einige Probleme, das reale Kind vor sich mit dem Passfoto von vor einem Jahr abzugleichen. Da muss dann erst der Vorgesetzte kommen um zu bestätigen, dass es sich hier offensichtlich doch um das richtige Kind handelt. Dann aber stehen wir auf georgischem Boden und fahren im überfüllten Linienbus nach Batumi, unserem ersten Stop in diesem Land.

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