… St. Louis und Chicago als nächste Ziele immer fest im Blick.

Und plötzlich kommt alles doch ganz anders. Großstädte und Camping sind nicht immer einfach miteinander zu kombinieren. Die Erfahrung hatten wir bereits in Los Angeles. Und jetzt machen wir sie mit St. Louis und Chicago ein weiteres Mal. Durch die Wahlheimat von Scott Joplin am Mississippi sind wir wenigstens noch durchgerauscht und konnten so einen schnellen, flüchtigen Blick auf die Skyline und die Gateway Arch erhaschen. Chicago hingegen haben wir komplett von der Route gestrichen und sind quer durch Illinois direkt nach Indiana gefahren. Der von uns anvisierte und nahe an Downtown Chicago gelegene Stellplatz auf dem Parkplatz des Messegeländes ist ausgerechnet jetzt noch bis 30. Oktober wegen einer Verpackungsmesse gesperrt. Alle anderen Campingplätze rund um die Windy City sind weit vom Zentrum entfernt, haben entweder gar keinen Anschluss an den ÖPNV oder aber die Fahrt mit Bus und Bahn in die Innenstadt dauert zwei Stunden. Und ein Tagesparkplatz für unser Gefährt in der Stadt ist unverschämt teuer. Die Heimat der Blues Brothers fällt für uns also aus, mit dem großen Wohnmobil ist ein Besuch in Chicago leider viel zu umständlich. Wir müssen akzeptieren, dass wir von Luftpolsterfolie und Kartonagen ausgebremst worden sind. Pah! Dann machen wir eben was anderes und verbinden den Indian Summer mit Autorennen und internationalem Shopping. Ja, richtig gelesen!

Indian Summer

Bereits seit unserem Abschied aus der Wüste und der Fahrt durch Texas, Oklahoma, Missouri und Illinois sehen wir sie: die für Nordamerika typische intensive Blattverfärbung im trockenen und warmen Herbst, gemeinhin bekannt als Indian Summer. Eigentlich sollte man dieses Naturspektakel ja in den im Nordosten gelegenen Staaten Neuenglands anschauen. Dafür sind wir aber definitiv zu spät dran, wie wir über die Fall Foliage Prediction Map herausfinden. Das macht aber nichts, denn auch in den etwas südlicher gelegenen Bundesstaaten zeigt sich der Indian Summer auf beeindruckende Art und Weise. Sowohl im Dr. Edmund A. Babler Memorial State Park in Missouri als auch in der Lieber State Recreation Area in Indiana sind wir von intensiv bunt gefärbten Bäumen und Sträuchern umgeben, die auf den Campingplätzen und in den Wäldern eine zauberhafte Herbstkulisse schaffen. Dazu noch ein bisschen Wasserfall und eine Covered Bridge wie bei unserem kleinen Ausflug zu den Cataract Falls, und schon fühlen wir uns wie Figuren in einem Roman von John Irving oder Nathaniel Hawthorne. Eine wundervolle Aussicht, dass uns der Indian Summer noch eine ganze Weile begleiten wird. In wenigen Wochen biegen wir in Richtung Süden ab und nehmen den bunten Herbst auf unserer Fahrt Richtung Florida einfach mit ins Gepäck. 

Indianapolis Raceway

Indianapolis trägt den Spitznamen „Racing Capital of the World“. Zumindest aus US-amerikanischer Sicht dürfte das stimmen, schließlich ist der Indianapolis Motor Speedway die bekannteste Rennstrecke der USA und das Indy 500 das Rennen schlechthin (und eines der drei Rennen, die zusammen die sogenannte Triple Crown of Motorsports bilden: Grand Prix de Monaco, 24 Heures du Mans, Indy 500). Immerhin zwei aus der Familie sind ordentlich rennsportbegeistert und daher ist es fast schon obligatorisch, dass wir an einem Samstag in Indianapolis zu einem Autorennen gehen. Allerdings nicht auf dem riesigen Speedway mit Platz für 300.000 Menschen, denn dort ist bereits Saisonende. Es gibt aber noch eine zweite Rennstrecke in der Stadt, den Lucas Oil Indianapolis Raceway. Dort findet am Samstag tatsächlich eine regionale Veranstaltung statt, bei der wir uns für kleines Geld ein wenig US-amerikanisches Rennsport-Flair anschauen und Sozialstudien betreiben können. Gefahren wird auf einem für die USA typischen Ovalkurs, immer mit Vollgas im Kreis herum. Drei Rennen mit sogenannten Sprint- bzw. Midget-Cars gibt es zu sehen, die Autos sind ziemlich schnell und infernalisch laut. Bereits nach wenigen Runden herrscht in jedem Rennen ein absolutes Durcheinander, da die Strecke ziemlich kurz ist und manche Autos ständig überrundet werden. Wir verlieren vollkommen den Überblick über die Platzierungen. Sieger gibt es am Ende selbstverständlich trotzdem, und zwar nicht nur für das jeweilige Rennen, sondern auch für die dazugehörige Meisterschaft – denn in allen drei Rennserien ist es die jeweils letzte Entscheidung der Saison.

Mindestens so interessant wie das Geschehen auf der Strecke ist für uns, was drum herum passiert. Vor allem, wer sich da so alles mit uns zusammen auf der Tribüne aufhält. Es geht sehr patriotisch zu und eine politische Diskussion fangen wir besser gar nicht erst an (unabhängig davon, dass es keinen Anlass dazu gibt). Manche T-Shirts und Hoodies geben die politische Haltung ihrer Träger:innen deutlich wieder: „Freedom or Death“ oder „Protect the Second“ (gemeint ist das Second Amendment, der zweite Zusatzartikel zur Verfassung der USA, der das Recht auf den Besitz und das Tragen von Waffen garantiert). Nun ist Rennsport auch in Europa eine eher konservative Veranstaltung und wir wussten bereits im Vorfeld, dass Ovalrennen in den USA ein sehr konservatives und patriotisches Publikum anziehen (insbesondere NASCAR). Trotzdem ist es spannend, so eine Veranstaltung live und in Farbe mitzuerleben. Wir hätten sonst nicht mitbekommen, dass in den USA vor dem ersten Rennen nicht nur die National Anthem gesungen, sondern auch gemeinsam mit dem Publikum gebetet wird. Und wir hätten verpasst, dass einer der beiden Streckensprecher einen ganz ähnlichen Singsang wie Donald Trump draufhat. Reiner Zufall? Wir können das vor Ort nicht weiter ergründen, dürfen aber nach dem letzten Rennen gemeinsam mit den anderen Zuschauer:innen in den Innenraum und kommen der Strecke, den Autos und den Fahrern ganz nah. Dass wir anschließend auf dem Gelände des Raceway kostenlos übernachten können, ist ein schöner Nebeneffekt unserer sehr speziellen Samstagnachmittag-Unterhaltung.

Jungle Jim’s International Market

Den etwas verrückten Supermarkt Jungle Jim’s haben wir im letzten Jahr in einem Fernsehbeitrag gesehen. Das sah ganz spannend aus, also haben wir einen Besuch dort auf die Vielleicht-Liste gesetzt. Und nach der Chicago-Absage und unserem Tag in Indianapolis lag Fairfield, Ohio, plötzlich gar nicht mehr so weit abseits des Weges. Und was gibt es Schöneres, als sich an einem Sonntag mit Tausenden von Menschen aus dem Großraum Cincinnati durch einen riesigen Supermarkt zu schieben?

Spaß beiseite, ein Besuch bei Jungle Jim’s ist wirklich ein skurriles Erlebnis. Neben der ganzen Deko und den im Laden verteilten Animatronics wie dem singenden Elvis-Löwen findet man dort Lebensmittel aus aller Welt, teils sortiert, teils kunterbunt durcheinander gemischt. Uns interessiert besonders die Abteilung mit den deutschen Produkten. Wir werden schnell fündig: Original Nürnberger Elisenlebkuchen, Asbach-Pralinen, Pudding von Dr. Oetker, Tütensuppen und Fertigsoßen von Knorr, ein ganzes Regal mit Produkten von Hengstenberg, usw. Fast wie im Supermarkt zuhause. Selbstverständlich hat Jungle Jim’s auch einige Sorten deutsches Bier im Angebot, wobei uns ein Sixpack Tannenzäpfle für umgerechnet 13,50 Euro dann doch zu teuer ist. Allerdings scheint das sehr leckere Allgäuer Büble Bier bei den US-Amerikaner:innen nicht so gut anzukommen, anders können wir uns den stark heruntergesetzten Preis auf vier Dollar für sechs Flaschen nicht erklären, was i.Ü. trotz Import günstiger ist, als der Preis für die amerikanischen Industriebiere wie Budweiser, Millers, Coors, usw. Jetzt fahren wir neben echt schwäbischen Spätzle und Sauerkraut von Hengstenberg auch noch jede Menge Allgäuer Bier in unserem Kofferraum spazieren und stoßen am Abend direkt damit an. Prost. 🙂

Wir decken uns bei Jungle Jim’s aber nicht nur mit deutschen Produkten ein, auch ein paar arabische Lebensmittel ergänzen seit heute unsere rollende Speisekammer und sorgen für ein wenig heimatliche Gefühle. Schließlich sind wir ja ein schwäbisch-syrischer Haushalt. Zum Mittag gibt es dann gleich mal Fladenbrot, Humus, gefüllte Weinblätter und Baba Ghanoush, stilecht serviert mit französischem Brie. Den Knorr Falafel Mix haben wir aber wohlweislich im Regal gelassen, das war uns dann doch ein wenig zu spooky. 🙂

12 aus 50 in 49

Nein, das ist keine neue Lotteriearithmetik. Mit dem heutigen Neuzugang Ohio haben wir in den bislang 49 Tagen unseres USA-Aufenthalts zwölf der insgesamt 50 Bundesstaaten bereist. Mal schauen, wie viele Bundesstaatenpunkte wir am Ende zusammenbekommen, 41 Tage haben wir noch Zeit. Wobei wir jetzt bereits wissen, dass uns am Ende das alte Dalli Dalli-Schicksal ereilen wird: „Ein Florida war doppelt, das müss‘ ma abziehen“.

4 Kommentare

  1. erfrischend!!!gefällt mir sehr Eure Unvoreingenommenheit, gucken, offen sein, einordnen, zuordnen!
    Und Indian Summer haben wir hier auch (gestern gehabt, heute regnet es)
    Liebe Grüße,Barbara

  2. Ich schließe mich „Barbara“ als vorheriger Schreiberin gerne an.
    Kurzweilig geschrieben.
    Aber, das gendern… Muss es wirklich sein? Steht doch in keinem Duden.
    Auch wenn es mir auf den Keks geht, (ich bleibe ehrlich), lese ich immer weiter, bzw. fahre mit euch.:)
    Es sind viele Ecken, die wir auch schon bereist und besucht haben.
    Weiterhin gute Fahrt und liebe Grüße,
    Jindra

  3. Hi Henne!
    Alle paar Tage lese ich deinen echt super geschriebenen Reiseblog.
    Beim Kapitel mit Indianapolis kommt mir meine Reise zur Verwandtschaft nach Covington nördlich von Terre Haute in Erinnerung, zu der mich mein Opa 1987 mitgenommen hat – inkl. Indianapolis und Chicago (ohne Camper!). Die Fotos erinnern mich stark daran.
    Macht schön so weiter, ich freue mich über die kommenden Berichte!
    Viele Grüße von Elle

    1. Hoi Elle, wie schön von dir zu hören. Hoffentlich sind die Erinnerungen positiv, die wir geweckt haben. Terre Haute sind wir durchgefahren, Covington aber nicht. Lustig, wenn ich das bei Google Maps aufrufe kommen lauter Bilder von Tuning Cars und Hot Rods.
      Auf bald
      Henne

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