Sonntagvormittag. Eine Fahrt durch das ländliche Alabama. Die Straßen sind wie leergefegt, die Parkplätze vor den zahlreichen Kirchen dafür umso voller. Willkommen im Zentrum des Bible Belt. Nicht zum ersten Mal fahren wir durch eine Gegend mit einer ausgeprägt hohen Dichte an Kirchen. Aber zum ersten Mal sehen wir, wie gut besucht diese für den wöchentlichen Sunday Service sind.

Landschaftlich erinnert hier vieles an Mitteleuropa: Mischwälder, landwirtschaftliche Flächen, Sträucher und Hecken links und rechts der Straßen. Fast kommen während der Fahrt heimatliche Gefühle bei uns auf. Doch die Baumwollfelder, die Sumpf-Kiefern (Alabama Longleaf Pine, der offizielle Baum des Bundesstaates) und die für die ländlichen USA typische, weitestgehend strukturlos wirkende Ansiedlung von Häusern, Farmen, Wohnwagen, Lebensmittelläden, Werkstätten, Kirchen, usw. machen uns deutlich, dass sich nicht nur die Vegetation, sondern auch die Sozialstrukturen von denen bei uns zuhause unterscheiden. Und auch in Sachen Sport ist vieles ganz anders als bei uns.

College Football

Womit soll ich nur anfangen? Es gibt so vieles zu erzählen und zu berichten rund um unseren Ausflug zum College Football nach Auburn. Und es ist bereits nach 22 Uhr. Ich versuche, mich auf die wichtigsten Dinge zu konzentrieren:

Auburn ist eine Stadt in Alabama mit knapp 75.000 Einwohner:innen. Mitten im Zentrum liegt der riesige Komplex der Auburn University, Bildungsort für knapp 25.000 Student:innen. Zentrales Gebäude der Universität ist jedoch nicht eine Aula, die Bibliothek oder ein großer Hörsaal, sondern das Jordan-Hare Stadium mit einer Kapazität von fast 88.000 Sitzplätzen. Damit gehört es zu den 20 größten Stadien der Welt und würde es in Europa stehen, wäre es nach dem Camp Nou in Barcelona und dem Wembley-Stadion in London das drittgrößte des Kontinents. Allein diese Zahlen machen die enorme Bedeutung von College Football in den USA deutlich: Für viele Sportfans sind die Studententeams wichtiger als die Mannschaften der Profiliga NFL (National Football League), die mit über 15 Milliarden Dollar immerhin die umsatzstärkste Sportliga der Welt ist und den Sport American Football weltweit vermarktet (gerade erst eine Woche her ist das erste offizielle Spiel zweier Teams in Deutschland). Die Spiele der Studententeams werden von der NCAA organisiert und für ein Millionenpublikum im landesweiten Fernsehen auf den verschiedenen Sportkanälen übertragen. Bis auf wenige Ausnahmen entstammen fast alle Spieler der Profiliga NFL aus den Football-Programmen der Universitäten.

Wie für viele der treuen Alumnis der Auburn University beginnt der Spieltag für uns bereits am Freitag. Wir können für zwei Nächte kostenlos mit unserem Wohnmobil auf einer Wiese am Universitätsgelände stehen und sind nicht die einzigen, die bereits am Freitagnachmittag ihren Stellplatz aussuchen. Auf dem Campus sind schon viele Fans unterwegs und nutzen wie wir die Gelegenheit, den Innenraum des Stadions und die Umkleideräume der Auburn Tigers zu besichtigen. Einfach so, ohne Eintrittsgebühren und unglaublich freundlich begleitet von vielen freiwilligen Helfer:innen. Fannähe par excellence. Überall auf dem Gelände wird an vergangene Erfolge und bedeutende Spieler der Universität erinnert. So u.a. auch an Cam Newton, der im Jahr 2010 als Quarterback das Team zur nationalen Meisterschaft im College Football geführt hat und als bester Spieler der Saison mit der Heisman Trophy ausgezeichnet worden ist. Diese ist wie selbstverständlich in den Räumen des Stadions ausgestellt. Denn auch für die millionenschweren Profi-Spieler der NFL ist und bleibt das College der zentrale Ort ihrer sportlichen Laufbahn.

P.S.: Wenn ihr euch mehr für das Thema interessiert, empfehle ich euch das Buch des ehemaligen deutschen NFL-Spielers Björn Werner. Sicher kein Werk fürs literarische Quartett, aber ein sehr persönlich geschriebener Einblick in den Werdegang zum Profi-Spieler und die Ausbildung am College.

Wieder im Freien hören wir in der Ferne die Klänge der Marching Band der Universität und machen uns auf den Weg zum Practice Field, wo die vielköpfige Band auf einem ausschließlich dafür reservierten Spielfeld ihre Bewegungen und Choreografien einübt. Wir kommen allerdings erst mit dem Schlussakkord auf dem frei zugänglichen Gelände an, die Generalprobe für die morgige Show haben wir leider gerade so verpasst. Das Gewusel und die vielen Menschen, die hier alle zusammen etwas auf die Beine stellen, beeindrucken uns trotzdem. Und die Show werden wir ja in jedem Fall am morgigen Samstag sehen.

Auf dem Nachhauseweg kommen wir noch an der War Eagle Road vorbei. Wer hier mit genau 35 mph und in der Mitte der Fahrspur entlangfährt, bringt die Straße zum Musizieren. Das funktioniert tatsächlich, wie wir live miterleben können. Bei fast jedem vorbeifahrenden Auto erklingt der Auburn Tigers Fight Song, den wir in diesen zwei Tagen noch ziemlich häufig zu hören bekommen. Ein lustiger Ausklang (im wahrsten Sinne des Wortes) für unseren Tag.

Das Fieber steigt am Spieltag zwei Stunden vor Spielbeginn. Es ist Zeit für den Tiger Walk: die Mannschaft und der Trainerstab laufen die letzten 500 Meter zum Stadion durch ein Spalier von Tausenden von Fans, musikalisch begleitet wie i.Ü. fast alles an diesem Tag von der Marching Band. Was für ein Spektakel! Und das veranstalten sie hier bei jedem einzelnen Heimspiel. Wir schmeißen uns ins Getümmel, besichtigen so ganz nebenbei das (na klar: selbstverständlich) geöffnete Baseball-Stadion der Universität und warten dann mit vielen anderen Menschen an der zentralen Kreuzung vor dem Jordan-Hare Stadium schon wieder auf die Marching Band. Die kommt jedoch nicht alleine die Straße entlang zur Four Corners Pep Rally, mit im Schlepptau sind diverse Tanz- und Akrobatikgruppen, Zeremonienmeister und die Cheerleader:innen. Allesamt Student:innen, so wie die Spieler der Mannschaft. Ein echtes Erlebnis. Und wir hören ihn schon wieder: Den Song der Auburn Tigers, immer begleitet vom Schlachtruf „War Eagle“.

Im Stadion geht es gerade so weiter: Einzug der Marching Band vor der Tribüne, der Adler „Aurea“ kreist von den Rängen auf das Feld hinunter, erneuter Einzug der Band auf den Rasen für die offizielle Pre-Game Show, Cheerleader:innen, emotionale Videos auf der riesigen Leinwand, Ehrungen, Vorstellung der Mannschaften, die Nationalhymne, „War Eagle“, usw. usw. Unfassbar, was rund um so ein Spiel alles aufgefahren und abgefeuert wird. Und als ob das alles noch nicht reicht, hat auch die Gastmannschaft der Western Kentucky Hilltoppers ihre Marching Band und Cheerleader:innen mit dabei. In der Halbzeitpause gibt es also nicht nur eine, sondern gleich zwei Shows der Bands auf dem Rasen mitzuerleben. Grandios!

Neben allen Showelementen gibt es auch noch ein Spiel, das die Auburn Tigers am Ende souverän und erwartbar mit 41 zu 17 gewinnen. Sportlich war die Partie von vorne herein bedeutungslos, denn die Saison der Tigers verläuft wieder einmal enttäuschend, inklusive Entlassung des Trainers zur Hälfte der Spielzeit. Die Hilltoppers ihrerseits sind kein Spitzenteam und als Außenseiter angereist. Sie halten aber eine Halbzeit gut dagegen und sind in diesen ersten 30 Minuten sogar das engagiertere Team. Immerhin erleben wir das letzte Heimspiel des Münchners Kilian Zierer für die Auburn Tigers, er wird als Senior das College in diesem Jahr verlassen. Als ehemaligen Spieler der Allgäu Comets haben wir ihn vermutlich auch schon einmal bei einem Heimspiel der Stuttgart Scorpions im Stuttgarter Gazi Stadion gesehen – wieder einmal wird die Welt ganz klein.

Durchgefroren, aufs Beste unterhalten und die Köpfe voller Eindrücke, Bilder, Farben und Klänge kommen wir zurück zum Wohnmobil. Das hat richtig viel Spaß gemacht!

Vor dem letzten Akt

Die Nacht heute verbringen wir in Georgia, allerdings nur einen Steinwurf bzw. ein paar Schwimmzüge entfernt von der Staatsgrenze zu Florida. Ab morgen bereisen wir den Sunshine State, quasi der letzte Akt unseres Road-Trip quer durch die USA. Am Lake Seminole ergattern wir auf dem East Bank Campground einen tollen Stellplatz direkt am Wasser. Und nachdem der Tag eher trist und grau dahergekommen ist, haut der abendliche Himmel sämtliche Farben aus seinem Malkasten für uns raus und liefert eine Lightshow, die der im Stadion in Auburn in nichts nachsteht.

4 Kommentare

  1. Ein Erlebnis, das zu Amerika gehört, aber nicht jeder von uns erleben darf.
    Vielen Dank, ich habe mich beim lesen fast „live“ dabei zu sein gefühlt.
    LG, Jindra
    PS: Eine Frage an den „Schriftsteller“. Die Cheerleader Gruppen bestehen doch aus Mädchen. Warum dann das „blöde“ gendern? Oder sind inzwischen auch Jungs dabei?;)

    1. Cheerleading ist zwar eine überwiegend, aber nicht ausschließlich weibliche Angelegenheit. Gerade beim Collge habe ich es schon öfter gesehen (im TV), dass auch Jungen bzw. Männer mit dabei sind. Die haben zwar andere Aufgaben, sind aber auch Teil der Stimmungsmacherei. Auch bei den Cheerleaderinnen der Stuttgart Scorpions (eigentlich sonst nur Mädchen und jungen Frauen) waren auch schonmal Jungs als Unterstützung mit auf dem Platz

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