Die Tage verlaufen unspektakulär. Das ist gar nicht mal verkehrt nach all dem, was wir bislang an Eindrücken eingesammelt haben. Die Bilder, die Szenen, die Wahrnehmungen müssen verarbeitet werden. Da kommen ein paar unaufgeregte Tage ohne herausragende Highlights an jeder Ecke gar nicht ungelegen. Was selbstverständlich nicht bedeutet, dass wir auf unserem Weg immer weiter in Richtung Osten nichts Bemerkenswertes erleben. Gerade sind es die scheinbar kleineren, weniger offensichtlichen Dinge, bei denen wir aufmerksam werden.

Die Sichtbarkeit einer politischen Haltung

„Five F’s you shouldn’t mess around with: 1. Faith 2. Family 3. Freedom 4. Firearms 5. Flag.“ Mit dieser Aufschrift am Heck donnert ein LKW an uns vorbei. Schwarze „Stars & Stripes“ prangen auf Autos und Hoodies und verbreiten eine eindeutige Nachricht: „No quarter will be given“ oder „Es werden keine Gefangenen gemacht“. Mehrfach fällt uns auch die „Thin Blue Line“ Flagge auf, die von manchen als Ausdrucksmittel der Bewegung Blue Lives Matter angesehen wird, ein bewußter Gegenentwurf zu Black Lives Matter. Auf dem Highway fahren wir an riesigen Billboards mit den zehn Geboten und deutlichen, Diversität und geschlechtliche Vielfalt ablehnenden religiösen Botschaften vorbei. „America, wake up!“, „Trump 2024“, immer wieder sehen wir auch solche Plakate. Als wir nach unserem Shopping-Erlebnis bei Jungle Jim’s am Cowan Lake übernachten, wird spät am Abend ganz in der Nähe geschossen. Fühlt sich alles nicht so gut an.

Deutliche politisch und religiös geprägte Botschaften sehen wir nicht erst seit ein paar Tagen. Aber gerade fallen sie uns besonders auf. Liegt es daran, dass wir seit geraumer Zeit nicht mehr den teilweise überlaufenen touristischen Pfaden folgen und uns dadurch mehr Alltagserleben möglich ist? Oder liegt es daran, dass wir uns gerade durch Bundesstaaten bewegen, die entweder bis vor wenigen Jahren oder aber ganz aktuell als Swing States die politische Zerrisenheit des gesamten Landes versinnbildlichen? Und die Menschen dort genau aus diesem Grund ihre politische Haltung besonders bewußt nach außen zeigen? Wobei wir bei der Sichtbarkeit weitestgehend von einer bestimmten politischen Richtung sprechen müssen, die sich im Alltagsbild mit einer teilweise unangenehmen Form von Selbstbewußtsein manifestiert.

Letztlich bleibt uns nur ein oberflächlicher Eindruck, wir wissen am Ende zu wenig über die Menschen, die Lebensbedingungen, die Umstände des Daseins. Was wir allerdings wahrnehmen ist, dass wir uns seit unserem Abschied aus dem Westen durch ein überwiegend weißes Amerika bewegen, dass instabil wirkt, fragil und unsicher. Und an vielen Stellen überholt und nicht mehr auf der Höhe der Zeit. America the Beautiful?

Zunehmender Geräuschpegel

Je weiter wir nach Osten kommen, desto lauter wird es. So zumindest ist unser Eindruck. Ein umfangreicheres Straßennetz, mehr Verkehr und eine größere Dichte an Industrie bringen dies wohl oder übel mit sich. Die Abgeschiedenheit und teilweise absolute Einsamkeit ist im Moment zumindest Vergangenheit für uns. Bei unserem Ausflug in den Cuyahoga Valley Nationalpark sind wir den ganzen Tag von der Geräuschkulisse der beiden querenden Interstates umgeben. Dabei leuchten die Farben des Herbstes wunderschön, das Stanford-House schmiegt sich idyllisch in das Landschaftsbild und die Brandywine Falls am Ende unserer Wanderung bringen schon wieder Tolkiens Herr der Ringe ins Gedächtnis. Wenn nur das permanente Verkehrsrauschen nicht wäre.

Auch in Erie am Lake Erie wird die idyllische Stimmung von den Industriegeräuschen des Hafens begleitet. Letztlich ist das nicht weiter schlimm, wir verbringen in der Marina trotzdem eine angehme Nacht. Und am nächsten Morgen zieht nur wenige Meter vor unserem Stellplatz ein großes Frachtschiff vorbei, eine Kulisse fast wie bei unserer Fahrradtour am Nord-Ostsee-Kanal. Nicht nur diese Szene, die ganze Stadt Erie erinnert uns erstaunlich an Norddeutschland und Kiel: Boote, Hafenanlagen, rote Backsteingebäude, Möwen und Schietwetter. Wie schon in Texas erwischen wir einen Tag grau in grau, stürmisch und mit Dauerregen. Das perfekte Wetter, um sich in der hervorragenden Bibliothek von Erie für zwei Stunden in einen Arbeitsraum mit Konferenztisch, vielen Stromanschlüssen und schnellem WIFI zu verkrümmeln (den dürfen wir einfach so belegen), einen Videoanruf nach Deutschland zu machen und gemeinsam mit Aminas Schwester die Details für unseren Japanaufenthalt festzuzurren. Damit die Reise weitergeht. 🙂 Und dank des schlechten Wetters ist jetzt endlich auch mal unsere Karte mit der Reiseroute aktualisiert und auf dem neuesten Stand.

Ein Wiedersehen

Viele von euch kennen vermutlich das beruhigende Gefühl, an einen schönen Ort zurückzukehren. Und manche von euch werden bereits die Erfahrung gemacht haben, so einen Ort auf unterschiedlichen Wegen oder von verschiedenen Seiten her kennengelernt zu haben. Wir freuen uns sehr darauf, morgen so ein Erlebnis zu haben: Vor einigen Jahren haben wir bei unserer Reise durch den Osten Kanadas die Niagarafälle besucht und von dort aus neugierig und etwas sehnsüchtig auf die US-amerikanische Seite dieses Naturspektakels geschaut. Morgen nun stehen wir genau auf dieser Seite des Niagara und blicken hinüber (und für uns zeitlich betrachtet zurück) nach Kanada. Wir werden trotz der Distanz versuchen, den in Erinnerung gebliebenen Ort wieder zu entdecken. Und wenn wir ganz wagemutig sind, gehen wir zu Fuß über die Grenze, trinken ein kanadisches Bier und hoffen drauf, dass sie uns wieder zurück lassen. Andernfalls müssten wir wie damals erst einmal Klamotten einkaufen gehen. 🙂

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