Das Reisen hat uns wieder! Pünktlich um 9:58 Uhr starten wir am Montag mit dem Regionalzug von Nürtingen aus zu unserem nächsten Abenteuer: Wendlingen! Ganze sechs Minuten dauert die erste von unzähligen Zugfahrten. Zehn Länder werden wir bereisen und viele Städte gilt es zu erkunden, bis wir am 28. Februar Japan erreichen. Sofern alles wie geplant verläuft und die Züge pünktlich sind. Auf den Weg nach Wien klappt das schon mal hervorragend. Über Ulm und Salzburg sind wir unterwegs und fahren auf die Minute um 16:32 Uhr am Wiener Hauptbahnhof ein.

Oh, Vienna

Es wird früh dunkel in der ehemaligen Kaiserstadt, daher entscheiden wir uns, den Abend im altehrwürdigen Kaffeehaus Prückel bei Wiener Schnitzel ausklingen zu lassen. So zumindest der Plan, der allerdings für Henrik nicht aufgeht. Kurz nach 19 Uhr muss er spontan noch einmal los. In den 11. Wiener Bezirk. Doch nicht der Zentralfriedhof ruft ihn nach Simmering, sondern die Spoken Word Performance von Bruce Dickinson, seines Zeichens Sänger von Iron Maiden. Der ist zufällig in der Stadt und liest aus seiner Autobiografie What does this button do? Und da Henrik im Dezember ja mehr oder weniger auch schon Flugzeugpilot war und dieses sehr inspirierende Buch einer sehr inspirierenden Persönlichkeit schon vor längerer Zeit mit großem Interesse gelesen hat, ist das selbstverständlich ein Pflichtbesuch. Der sich lohnt!

Am nächsten Tag nehmen wir uns Zeit für einen ausgiebigen Stadtbummel: Zu Fuß von der Hofburg und dem angrenzenden Schmetterlingshaus zum Wiener Ring, mit der Linie 1 am Parlament und am Burgtheater vorbei und hinein in die Altstadt zum Stephansplatz mit seinem berühmten Dom. Dann zieht es uns wieder in die Kaffeehäuser: Zunächst ins Hawelka, dem Treffpunkt der Literat:innen und Künstler:innen, im Anschluss gleich noch einmal ins Prückel mit seiner zeitlos eleganten Atmosphäre. Gestärkt und ausgeruht machen wir uns gegen 16:30 Uhr auf den Weg zum Hauptbahnhof, nehmen Abschied von Wien und fahren mit dem Railjet der ÖBB zu unserem nächsten Etappenziel: Budapest!

Ungarisches Nationalgefühl, heiße Quellen und Yoko Ono

Pickepackevoll sind die beiden Tage, die wir in der ungarischen Hauptstadt verbringen. Mit dem sehr gut ausgebauten und günstigen ÖPNV fahren wir kreuz und quer durch die beiden Stadtteile Pest und Buda. Vom außergewöhnlichen Neubau des Ethnografischen Museums über das Botschaftsviertel und die Prachtstraße Andrássy út zum Bahnhof Nyugati mit seinen wunderschönen Fassaden, weiter zum Pester Donauufer, zur Markthalle und über die Kettenbrücke hinüber nach Buda. Mit der Standseilbahn geht es hinauf zum Burgberg, wo Victor Orbán im Karmeliterkloster seit 2019 seinen offiziellen Amtssitz hat. Im gesamten Burgviertel finden derzeit umfangreiche Baumaßnahmen im Rahmen des Nationalen Hauszmann-Programms statt. Sämtliche durch Krieg und Kommunismus zerstörten Gebäude auf dem Burgberg sollen bis 2025 im historischen Originalzustand wieder aufgebaut werden. Aus architekturhistorischer Sicht vermutlich ein bedeutsames und wichtiges Projekt – das können wir ohne das nötige Hintergrundwissen nicht beurteilen. Sicher jedoch auch ein Projekt für die „Renaissance der ungarischen nationalen Identität des 21. Jahrhunderts“, passend zur aktuellen ungarischen Politik. Wir fühlen uns umgehend an die kontrovers geführte Debatte rund um den Wiederaufbau des Berliner Stadtschlosses vor einigen Jahren erinnert.

Vorbei an der Fischerbastei und der Matthiaskirche schlendern wir zurück zur Seilbahn und machen uns bei einbrechender Dunkelheit auf den Weg zu unserem Vorabendprogramm: ein Besuch der Szent Lukács Gyógyfürdő, einer der berühmten Budapester Thermen. In den dämpfigen Fluren, Räumen und den verschiedenen Becken ist es eng, voll, hallig und entsprechend laut – aber eben auch ungemein entspannend. Wir fläzen bei Wassertemperaturen zwischen 32 und 40 Grad vor uns hin, genießen die Wärme und verlassen das Heilbad nahezu runderneuert. Auf der Heimfahrt mit der Straßenbahn erhaschen wir noch einen Blick auf das trotz Energiekrise rundum hell erleuchtete und monumentale Parlamentsgebäude. Was für ein Anblick zur guten Nacht!

Am nächsten Tag ist uns das Wetter nicht gewogen – es regnet – und wir unternehmen einen Besuch ins ungarische Nationalmuseum. In unzähligen Räumen wird über die abwechslungsreiche Geschichte Ungarns informiert, wobei der Schwerpunkt eindeutig auf Glanz und Gloria liegt. Das fällt uns besonders daran auf, dass die historisch wichtigen Kapitel der beiden Weltkriege (und Ungarns wenig ruhmreiche Rolle dabei) und die Zeit der Zugehörigkeit zum Ostblock im Vergleich zum Rest der Sammlung eher marginal aufbereitet wirken. Möglicherweise ist aber ein Nationalmuseum dafür nicht der geeignete Ort – immerhin gibt es in Budapest mit dem Haus des Terrors ein beeindruckendes Museum über die Zeit der faschistischen sowie der marxistisch-leninistischen Diktatur (das wir aus Zeitgründen dieses Mal leider nicht besuchen). Das es im Nationalmuseum aktuell eine Sonderausstellung mit Werken von Yoko Ono zu sehen gibt, ist dann wieder einer dieser schönen Zufälle. Die Ausstellung ist motiviert durch die traurigen Geschehnisse in der Ukraine und leider haben die berühmten Weihnachtsgrüße von John & Yoko nichts an Aktualität eingebüßt:

WAR IS OVER! IF YOU WANT IT

Im Nachtzug nach Siebenbürgen

Ein bunt zusammengewürfelter Zug steht kurz vor 19 Uhr abfahrbereit auf Gleis 1 des Bahnhofs Budapest-Keleti: Sitzwagen der ersten und zweiten Klasse der ungarischen Staatsbahnen MÁV. Sitz- und Liegewagen der staatlichen Eisenbahngesellschaft Rumäniens C.F.R., ganz vorne der einzige Schlafwagen. Da wollen wir rein, denn wir haben ein Abteil mit drei Betten im Nachtzug von Budapest nach Bukarest gebucht. Doch ganz bis in die rumänische Hauptstadt fahren wir heute (noch) nicht. Unsere Reise endet viele Stunden vorher in Hermannstadt bzw. Sibiu mitten in Siebenbürgen. Und sie endet gefühlt mitten in der Nacht kurz vor 6 Uhr am Morgen. Die Grenzkontrollen der ungarischen und rumänischen Polizei um 23:45 und um 00:15 Uhr sowie die Zeitverschiebung von minus einer Stunde tun ihr übriges dazu. Mit viel zu wenig Schlaf kommen wir in unserer Pension an und sind froh, unsere müden Knochen im Gemeinschaftsraum ausstrecken zu können. Als die ersten Cafés in der Altstadt öffnen, gönnen wir uns ein ausgiebiges Frühstück und starten gestärkt zu einem Stadtbummel durch das von vielen Völkern besiedelte und multikonfessionelle Hermannstadt.

In den Städten Rumäniens bewegen wir uns mit den besten Tipps und Empfehlungen eines guten Freundes. Daher finden wir uns schnell in Hermannstadt zurecht und sehen die vielen Sehenswürdigkeiten der Altstadt am Kleinen und Großen Ring. Besonders die Kirchen haben es uns angetan. Auf engstem Raum finden sich in Sibiu wichtige Zentren gleich mehrerer Konfessionen: von orthodox über römisch-katholisch bis hin zu evangelisch und reformiert. In der evangelischen Stadtpfarrkirche bekommen wir von einem sehr netten und deutsch sprechenden Kirchenführer die wechselvolle Kirchengeschichte der Stadt mit ihrer deutschen, ungarischen und rumänischen Vergangenheit in komprimierter Form erzählt. Dort sehen wir auch eines der letzten bronzenen Taufbecken in Rumänien, hergestellt aus einer türkischen Kanonenkugel. Ebenfalls zur evangelischen Kirche gehört die Gesell:innenherberge Casa Calfelor, eine Anlaufstelle für Gesell:innen auf der Walz, die dort übernachten können. Eine kleine Ausstellung informiert über die Hintergründe des Hauses. Vom Ratturm aus haben wir einen schönen Blick über ganz Hermannstadt und selbstverständlich besichtigen wir auch die legendenumwobene Lügenbrücke, eine Gusseisenkonstruktion der Friedrichshütte in Hessen.

Nach so vielen Eindrücken haben wir Hunger und begeben uns zum Bauernmarkt auf der Piața Cibin. In der Winterzeit ist der Markt nur mäßig besucht und viele Stände sind nicht besetzt. Aber wir wollen ja auch keine Kartoffeln kaufen, sondern an der Imbissbude am Eck die für Rumänien typischen Mici essen. Und uns wurde nicht zu viel versprochen: super lecker sind die kleinen Hackfleischröllchen, zusammen mit gutem Brot und einem tollen Senf. Yummy! Wir freuen uns jetzt schon darauf, die Mici im Caru‘ cu bere in Bukarest ein zweites Mal essen zu können.

Auf den Spuren von Peter Maffay

Am nächsten Tag heißt es für uns erneut früh aufstehen! Exakt 24 Stunden, nachdem wir in Hermannstadt angekommen sind, warten wir um 5:40 Uhr am Bahnhof im Dunkeln auf den Nachtzug aus Budapest. Nach Osten geht die Fahrt, vorbei an transsylvanischen Dörfern und mit Schnee überzuckerten Provinzbahnhöfen. Drei Stunden sind wir unterwegs, dann spuckt uns der IRN 473 in Brașov bzw. Kronstadt aus. Wie Sibiu ist Brașov eines der Zentren von Siebenbürgen, gleichzeitig eine der größten Städte in Rumänien und Geburtsort von Peter Maffay. Eine Statue zu Ehren des Sängers finden wir zwar nicht, Ehrenbürger von Brașov ist der Mann mit der markanten Stimme allerdings schon.

In der hübsch aufgemachten und lebendigen Altstadt besichtigen wir die zentralen historischen Sehenswürdigkeiten: Die Schwarze Kirche, das alte Rathaus, die Strada Sforii. Wir lernen über den siebenbürgisch-sächsischen Humanisten und Universalgelehrten Johannes Honterus, der nicht nur als Reformator in seiner Heimat entscheidende Spuren hinterlassen hat. Mit der Seilbahn fahren wir hoch zum Hausberg Tâmpa. Oben angekommen erwartet uns ein kleines Winter-Intermezzo, das wir bei herrlichem Wetter genauso genießen wie die Ausblicke auf die sonnenbeschienene Altstadt und die schneebedeckten Karpaten. Traumhaft! Abends kapitulieren wir vor unserer Müdigkeit, bleiben auf dem Hotelzimmer und basteln mit den letzten Essensresten ein spartanisches Vesper. Morgen früh wartet ein neuer Zug auf uns. 🙂

2 Kommentare

    1. Oh Mann, die Welt ist so ein Dorf! Der Sohn unseres Pensionswirts in Sibiu z.B. hat in Reutlingen studiert. Der Mann kannte Nürtingen, ganz selbstverständlich. Irgendwie gibt es diese Verbindungen fast überall, wo wir seit Sommer 2022 im Verlauf unserer Reisen hinkommen.

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