Sonntagabend, 19 Uhr. Wir sitzen in unserem Hotelzimmer hoch über Tbilisi und blicken hinunter auf die Lichter der Stadt, die so ganz anders ist als alles, was wir bislang in Georgien gesehen haben. Viele junge Menschen, moderne Geschäfte, hippe Cafés und Bars, Szeneviertel. Der Technoclub Bassiani wurde bereits vor fünf Jahren in einem Atemzug mit dem Berghain genannt. Einträchtig neben diesen überall sichtbaren Zeichen des Aufbruchs stehen die kulturellen Zeugnisse vergangener Epochen und einer wechselvollen Geschichte – nicht nur von Tbilisi, sondern von ganz Georgien. Einem vielfältigen Land voller Widersprüche.

Las Vegas am Schwarzen Meer

Batumi ist das beliebteste Urlaubsziel in Georgien. An der kilometerlangen Uferpromenade reihen sich riesige Hotel- und Appartement-Komplexe aneinander. Wie in Las Vegas ziehen Casinos die Menschen in ihren Bann. Unzählige Gebäude befinden sich im Bau, die Stadt an der Küste des Schwarzen Meeres bereitet sich auf noch mehr sonnenhungrige Besucher:innen vor. Von all dem bekommen wir herzlich wenig mit. Batumi ist um diese Jahreszeit quasi ausgestorben, zumindest was den Tourismus angeht. Das Wetter tut sein übriges dazu: Es regnet in Strömen und wir sind froh, bis 14 Uhr im Hotelzimmer bleiben zu können. Draußen ist es garstig und unsere geplante Tour mit E-Scootern die Promenade entlang fällt buchstäblich ins Wasser. Die verrückten Gebäude in Orbi City schauen wir uns daher nur im Internet an.

Einen Ausflug unternehmen wir dann doch noch: mit der Seilbahn über die Dächer der Altstadt hinauf zum Aussichtspunkt auf dem Berg Anuria auf einen Espresso, Limonade und Tee. Die Sicht ist – naja, ihr seht es ja selbst. Versöhnt mit unserem kurzen Aufenthalt in Batumi werden wir durch den herausragenden, freundlichen und zuvorkommenden Service sowie die unglaublich leckere georgische Küche im kleinen Restaurant Classic in der Altstadt. Ein Zufallsfund der absoluten Spitzenklasse. Also wenn ihr mal nach Batumi kommt … ihr wisst schon. 🙂

Mit Maxim und Bolt durch die Stadt

Eigentlich hatten wir vor, die Gegend rund um Kutaisi einen Tag lang mit dem Mietwagen zu erkunden. Nicht nur die Klöster Motsameta und Gelati hatten es uns angetan, auch den Kurort Zqaltubo mit seinen zerfallenen Spas und Thermalbädern aus sowjetischer Zeit wollten wir in aller Ruhe besichtigen. Das geht am bequemsten mit einem Auto, mit dem man im eigenen Tempo von A nach B und C fahren kann.

Die großen Marken wie Sixt oder Hertz sind in Kutaisi nicht vertreten. Allerdings sind mehrere lokale Mietwagenfirmen auf Google Maps gelistet und nach einigen SMS-Nachrichten hin und her hat Henrik noch während der Zugfahrt von Batumi nach Kutaisi eine Vereinbarung für den nächsten Vormittag. Blöd ist dann allerdings, dass an der angegebenen Adresse kein Büro einer Mietwagenfirma zu finden ist. Der freundliche georgische Taxifahrer ist behilflich und übernimmt den fälligen Telefonanruf um herauszufinden, was hier eigentlich gespielt wird: „In einer Stunde wiederkommen, dann komme ich mit dem Auto. Jetzt bin ich bei der Arbeit.“ Aha, also so geht Mietwagenverleih in Georgien. Genauer gesagt in Kutaisi. Das lassen wir dann doch lieber, erkunden die Stadt zunächst zu Fuß und anschließend die beiden Klosteranlagen mit Maxim und Bolt. Ohne diese beiden wären wir hier in Georgien ziemlich aufgeschmissen, denn mangels Sprachkenntnissen können wir uns kaum einen Überblick im Dschungel der offiziellen, halboffiziellen und inoffiziellen Taxis verschaffen. Angesprochen werden wir zwar andauernd, was uns dann erwartet wissen wir aber nicht. Mit den beiden Apps ist es uns jederzeit möglich, eine Taxifahrt zu fest vereinbarten Preisen zu buchen. Das ist für uns eine große Hilfe. Und wir nutzen sie, auch wenn wir die Situation der Fahrer:innen nicht wirklich einschätzen können und nicht wissen, ob es in Georgien ähnliche Diskussionen um Taxi-Vermittlungsapps gibt wie z.B. hinsichtlich Uber in den USA oder Deutschland. An manche Orte kommen wir eben leider nicht mit dem Linienbus.

Kutaisi ist die Stadt der vielen Bahnhöfe. Alleine drei davon befinden sich in der Nähe des Zentrums, fußläufig oder mit einem Bus leicht erreichbar. Leider hält keiner der schnelleren und konfortableren „Fast Trains“ an einer dieser Stationen. Angekommen sind wir am Bahnhof Kutaisi International Airport, der allerdings nicht direkt am Flughafen, sondern gefühlt mitten in der Pampa liegt. Knapp 25 Kilometer mit dem Taxi waren es von dort bis zu unserem Hotel im Zentrum der Stadt. Unsere Weiterfahrt nach Gori wiederum beginnen wir am Bahnhof Rioni im Süden, knapp 15 Kilometer vom Zentrum entfernt. Ein gottverlassener Ort, zumindest als wir reichlich zu früh mit dem Taxi dort ankommen. Doch nach und nach füllt sich der Parkplatz hinter dem Gebäude und als der Zug in Richtung Tbilisi einfährt, laufen knapp 20 Reisende zusammen mit uns über die Gleise zum Bahnsteig und warten geduldig, bis der Schaffner die Personalien kontrolliert und mit den Angaben auf seiner Passagierliste abgeglichen hat.

Schlemmen wie im Paradies – ein kleiner Exkurs in die georgische Küche

Fünf Tage sind wir jetzt im Land und jeden Tag aufs Neue schlemmen wir uns durch die faszinierende und leckere Küche Georgiens. Egal ob Chinkali, Khachapuri, Badridschani mit Walnüssen, Chashushuli, Kupati, Ojakhuri oder Lobiani – wir erleben eine Geschmacksexplosion nach der anderen und sind ganz und gar angetan von den fein abgestimmten Gewürzen und Kräutern bei den verschiedenen Rezepten. Jedes Essen ist ein Fest für die Sinne und alleine für die herrlichen Gerichte lohnt es sich, einmal nach Georgien zu reisen. Und damit ihr auf den Geschmack kommt, versorgen wir euch jetzt mit ein wenig Food-Porn. 🙂

Auf den Spuren von Josef Stalin

Gori ist die Geburtsstadt des ehemaligen sowjetischen Diktators und Generalsekretärs des Zentralkomitees der KPdSU, Josef Stalin. Der ist in der ganzen Stadt allgegenwärtig: es gibt einen Stalin Boulevard, einen Stalin Park, ein Denkmal in der Bahnhofshalle und das Stalin State Museum, in dem sein Leben und politisches Wirken mit vielen Fotos und Dokumenten nachgezeichnet wird. Das Museum ist in direkter Nachbarschaft zum Geburtshaus des Diktators errichtet, dieses kann ebenfalls besichtigt werden. Zusätzlich steht auf dem Gelände der gepanzerter Eisenbahnwagon, den Stalin für viele seiner Reisen verwendet hat.

Wir bekommen eine englischsprachige Führung durch die Sammlung. Diese ist auch zwingend notwendig, da die allerwenigsten Exponate mit englischen Erklärungen versehen sind und die Ausstellung insgesamt eher altmodisch aufgemacht ist. Wir erfahren Details aus Stalins Kindheit und Jugend, aus seiner Zeit als politischer Revolutionär, viel über das Verhältnis der führenden Bolschewiki Lenin, Stalin und Trotzki und einiges über Stalins eigene Familiengeschichte und seine beiden Ehen – bis hin zu seiner in den USA lebenden und höchst skurrilen Enkelin Chrese Evans. Weitere Teile der Ausstellung beschäftigen sich mit dem zweiten Weltkrieg und der Zeit bis zu Stalins Tod im Jahr 1953. Ein „Highlight“ der Sammlung ist die Kopie von Stalins Totenmaske, reichlich glorifizierend präsentiert. Im Saal daneben findet sich eine Sammlung von luxuriösen Gastgeschenken aus aller Welt für einen der brutalsten Diktatoren des vergangenen Jahrhunderts.

Womit wir beim heiklen Punkt dieses Museums angekommen sind: eine historische Einordnung der immensen Gräueltaten, die unter Stalins Ägide stattgefunden haben, findet im Museum nicht statt. Die müssen die Besucher:innen schon selbst im Gepäck haben, andernfalls könnte man leicht auf den Gedanken kommen, dass das mit dem Stalinismus so schlimm schon nicht gewesen sein kann. Anders als in diesem Artikel des Spiegel gibt unsere Museumsführerin immerhin keine ausweichenden Antworten und berichtet über den Diktator neutral, sachlich und ohne emotionale Regung. Außerdem verweist sie uns auf weitere Ausstellungen in Georgien, in denen über die Gräueltaten der Sowjetunion und des Stalinismus berichtet wird und diese weit besser aufgearbeitet sind (u.a. im Nationalmuseum in Tbilisi, das wir heute besucht haben. Davon mehr beim nächsten Mal). Zumindest durch sie kommen an ein paar Stellen die Punkte zur Sprache, die die Ausstellung ansonsten schuldig bleibt. Das darf man dann durchaus als problematisch bezeichnen.

Unser weiterer Gang durch Gori führt uns zum Kriegsmuseum, in dem der gefallenen georgischen Soldat:innen der verschiedenen Kriege von 1941 bis 2008 gedacht wird (2. Weltkrieg, Afghanistan, Irak, Kaukasuskrieg). Im Anschluss wandern wir zum Denkmal für die georgischen Kriegshelden (das ursprünglich in Tbilisi stand) sowie hinauf zur recht zerfallenen, aber angeblich im Wiederaufbau befindlichen Festung Gori (wobei vom Wiederaufbau bis auf den neu gepflasterten Zuweg noch nicht wirklich etwas zu sehen ist). Wir blicken über die Stadt hinüber zum Kaukasus und sind nach den eher bedrückenden Themen und Besuchen in dieser Stadt nicht unglücklich darüber, uns auf den Weg zum Bahnhof und in Richtung der Hauptstadt Tbilisi zu machen.

Wie wir es von georgischen Bahnhöfen bereits gewohnt sind, ist auch der Aufenthalt am Bahnhof Gori eine eher trostlose und einsame Angelegenheit. Es ist nichts los, außer uns wartet lediglich ein weiterer Fahrgast auf den Zug 11/17 nach Tbilisi. Dieser kommt zwar pünktlich, stellt sich dann aber als ziemlich heruntergekommen und abgerockt heraus. Kein Vergleich zu den modernen Großraumabteilen bei den letzten beiden Fahrten. Egal, letztlich kommen wir auch mit diesem Gefährt sicher voran und zuckeln gemächlich durch die georgische Landschaft. Gespannt darauf, was uns Tbilisi alles zu bieten hat.

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