Titelbild: Jürgen Howaldt, CC BY-SA 2.0 DE, via Wikimedia Commons
Mit Grenzübergängen haben wir in den vergangenen elf Monaten ausgiebig Bekanntschaft gemacht. Die vielen Ein- und Ausreisestempel in unseren Reisepässen zeugen davon, wie viele Grenzen wir mal mehr, mal weniger einfach passieren konnten und durften. Heute allerdings stehen wir an einer Grenze, die für uns geschlossen bleiben wird. Genauer gesagt stehen wir am Beginn der sogenannten Grenzzone. Dort, wo die Straße endet und ein schlichtes weißes Gatter das Ende der freiheitlich-demokratischen Europäischen Union markiert. Noch ein Kilometer, dann beginnt Russland. Wie gerne würden wir hinüber fahren, mit den Menschen in Kontakt kommen und die wilde Natur dieses riesigen Landes erleben. Doch dafür müsste die Welt eine andere sein, müsste Russland ein anderes sein. Heute also bleibt es bei einer Besichtigung des kleinen Grenzschutzmuseums in Raate und einem Kaffee im reichlich skurrilen Café Ukraina im ehemaligen Grenzschutzgebäude, in dem jedoch Geld für die gute Sache verdient wird. Doch wer weiß, vielleicht kommt eine zukünftige Zeit, in der wir Karelien dies- und jenseits der aktuell sich neu auftürmenden Mauer zwischen Russland und Europa besuchen können. Es wäre sicherlich eine bessere Zeit.
Auf der Fahrt von Suomussalmi nach Raate passieren wir viele Denkmäler, die der Opfer des von 1939 bis 1940 insgesamt 105 Tage dauernden Winterkriegs zwischen der Sowjetunion und Finnland gedenken. Die Straße, auf der einst erbittert gekämpft wurde, ist heute ein Museumsweg. Mahnende Erinnerung an eine grausame Zeit.
Zu Gast
Wieder einmal dürfen wir zu Gast sein. Bei Henriks Groß-Großtante Gunborg und ihrem Mann Klaus in ihrem Haus auf Bolmö. Einer der zahlreichen Inseln der Gemeinde Brändö. Zwei Fähren müssen wir nehmen, um vom Festland Finnlands in die Region Åland zu gelangen, einem Archipel mit zehntausenden Inseln. Mit großer Herzlichkeit werden wir empfangen, aufgenommen und verwöhnt. Mit dem Auto und dem Boot dürfen wir die kleine Gemeinde erkunden und bekommen einen Einblick in das ganz besondere Leben hier in einer Region, die geprägt ist von weitgehender Autonomie. Die zu Finnland gehörig, deren Amtssprache jedoch Schwedisch ist.
Zurück im einzigen Wohnhaus auf Bolmö führen wir mit Gunborg und Klaus, ihrer Tochter Maja und deren Mann Robert wunderbare Gespräche und erhalten viele Tipps und Anregungen für unsere weitere Reiseroute. Junes wird wie selbstverständlich in den Kreis der Kinder und Jugendlichen integriert und hat jede Menge Spaß. Und wir sind wieder einmal überwältigt, mit welcher Gastfreundschaft wir überall auf dieser Welt empfangen werden.
Vielen Dank für die unvergessliche Zeit! Tack för den oförglömliga tiden! Kiitos unohtumattomasta ajasta!
Pralles Leben und Industriegeschichte in Tampere
Als wir auf dem Parkplatz am See Pyhäjärvi im Süden von Tampere ankommen, tobt um uns herum das pralle Leben: Tanzgruppen, Selbstverteidigungskurse, Beach-Volleyball, Stand-Up-Paddling, Footbag, Chill-Out-Parties, Sonnenbaden, Jetskis, Fahrradfahren und und und. Student:innen, Schüler:innen, junge und junggebliebene Menschen bevölkern den Park Eteläpuisto und genießen einen der wenigen Hochsommertage in vollen Zügen. Der Park liegt nur wenige Meter von der zentralen Innenstadt entfernt und ist ein idealer Spot, um sich nach Feierabend zu treffen und wenige Tage vor dem großen Juhannus-Fest gemeinsam eine gute Zeit zu verbringen. Und anders als in Helsinki, wo uns das laute Motorengebrüll und die knallenden Fehlzündungen mitten in der Nacht am Ende doch ziemlich auf die Senkel gegangen sind, geht es im Eteläpuisto bei allem Treffen, Feiern, Spaß haben und Fröhlich sein erstaunlich ruhig und rücksichtsvoll zu. So geht es also auch. Daumen hoch für diesen angenehmen und lebendigen Abend.
Am nächsten Morgen ziehen wir los in Richtung Innenstadt, vorbei am Marktplatz und den alten Industrieanlagen an den Stromschnellen Tammerkoski. Über den Zentralplatz mit dem Stadttheater, der Alten Kirche und dem Rathaus laufen wir zum nächsten Industriedenkmal, dem Finlayson-Gelände mit dem angrenzenden Palast des ehemaligen Fabrikbesitzers Wilhelm von Nottbeck. Weiter geht die Stadtrunde hinauf zum Pyynikki-Park. Dort fahren wir mit dem Aufzug auf den Aussichtsturm, bestaunen den Blick über Tampere und die umgebenden Seen und genießen im Café die angeblich besten Munkki der Stadt. So lässt es sich leben, und wie wir beobachten können, sehen und handhaben das viele der Bewohner:innen von Tampere genauso.
Türme und Pesäpallo in Kuopio
Nächster Halt Kuopio. Die Innenstadt lassen wir links wie rechts liegen und fahren direkt hinauf zum Puijo-Turm, eines der Highlights in der neuntgrößten Stadt des Landes. Auf der Aussichtsplattform empfängt uns eine steife Brise und ein wolkenverhangener Blick über die Seenplatte der Landschaft Nordsavo. Trotzdem beeindruckend, was wir zu sehen bekommen – und gleichermaßen höchst erfreulich: beim Blick hinunter erspäht Amina ein Stadion, in dem sich nach und nach Menschen einfinden. Eine schnelle Recherche später ist klar, dass wir auf das Puijo-Pesäpallostadion blicken und in wenigen Minuten ein Spiel beginnt. Also nichts wie los. Das wollen wir auf keinen Fall verpassen!
Pesäpallo ist der inoffizielle Nationalsport in Finnland und eine dem Baseball verwandte Sportart. Im Gegensatz zu Letzterem geht es auf dem Feld allerdings ziemlich rasant zu: werfen, schlagen, rennen und laute Kommandos wechseln sich in schneller Reihenfolge ab, alle Spieler sind fast permanent in Bewegung. Für regelunkundige Zuschauer:innen ist es ganz schön anstrengend, am Ball zu bleiben und die verschiedenen Abläufe auf dem großen Feld zu erfassen. Wobei wir mit Henrik eigentlich einen erfahrenen Pesis-Spieler in unseren Reihen wissen, hat dieser doch in den 90er-Jahren als kurzfristig engagierter Neuzugang bei den Löwen Merklingen sein vielumjubeltes Debüt bei den Nord-Süd-Spielen der deutschen Pesis-Liga bestritten. Weder das genaue Jahr, die abschließende Platzierung noch die (vermutlich geringe) Anzahl getroffener Bälle sind im Gedächtnis hängen geblieben, einige erfolgreiche Läufe des Rookies zum ersten, zweiten und dritten Nest bleiben jedoch auf lange Sicht unvergesslich. Manche der Mitlesenden werden sich sicherlich freudig erinnern. 🙂
Nach dem Spiel fahren wir noch einmal zum Puijo-Turm, um in der schönen Abendstimmung Fotos vom Turm und den anliegenden Skisprungschanzen zu machen. Immer wieder aufs Neue beeindruckend, wie diese turmhohen Kolosse in der Landschaft stehen, von denen sich Menschen mit lediglich zwei Brettern unter den Füßen wagemutig hinunterstürzen. Und es sei an dieser Stelle verraten, dass dies mit großer Wahrscheinlichkeit nicht die letzten Schanzen sind, die wir auf unserer Reise durch den Norden besichtigen. There is more to come!