… werfen Ihre Schatten voraus. Am morgigen Sonntag treffen wir auf Henriks entfernte Verwandschaft. Ohne uns bekannte Telefonnummern oder Mailadressen hat die Kontaktaufnahme auf ganz altmodischem Weg funktioniert, und das nach 42 Jahren: einen Tag nach unserer Ankunft in Helsinki erhält Henrik eine E-Mail, dass die zu Beginn der Reise aus Wismar abgeschickte Postkarte angekommen ist. Genau in dem Moment, als wir vor dem Haus seiner Groß-Großtante stehen, uns durch den Hinterhof reinschleichen und eine Notiz in den Briefkasten werfen, dass wir in Finnland angekommen sind. Jetzt herrscht große Freude und gespannte Aufregung. Statt nach Osten in Richtung der finnischen Seenplatte zu fahren, werden wir morgen über Turku nach Åland reisen, wo die Familie ihre Sommerfrische verbringt. Für so ein Wiedersehen nehmen wir eine Kursänderung mehr als gerne in Kauf.

The Robin Hood Challenge

Auf unserem kostenlosen Stellplatz in Helsinki (wir parken direkt am Wasser, um uns herum spazieren deutsche Urlauber:innen vom soeben festgemachten Mein Schiff 4 auf zehntägiger Ostseereise, auf der Straße beschleunigt und fehlzündet die örtliche PS-Szene mit hochmotorisierten und getunten Fahrzeugen rauf und runter, vor uns jagen ebenso PS-liebende Jungmänner ihre Jetski übers Wasser) werden wir von Flo und Mo angesprochen. Sie parken neben uns, sind ebenfalls auf einer Tour hoch zum Nordkap. Allerdings anders als wir sind die beiden im Dienste einer guten Sache unterwegs: sie sammeln Geld im Namen der Against Malaria Foundation für die Anschaffung von Moskitonetzen für Menschen in von Malaria betroffenen Gebieten (ein Netz kostet 2 Euro). Dafür verzichten sie über Monate auf jegliche Form von Komfort, fahren und campen in einem umgebauten PKW und werben überall, wo sie hinkommen, für ihren Fundraiser. Aktuell verdoppeln die beiden sogar jeden gespendeten Euro! Wir finden, dass ist eine Top-Sache, die wir gerne gleich zu Beginn unseres neuen Beitrags bewerben. Wäre schön, wenn wir auf diesem Weg für eine Erhöhung der gespendeten Summe sorgen. Alle Infos zur Aktion findet ihr auf der Seite der beiden oder bei Instagram.

Quod erat demonstrandum

Weltweit klebende VfB-Fans, eine auffällige Häufung von Baden-Württemberg-Aufklebern und Alkohol-Supermärkte. Davon hatten wir es neben anderen Themen im letzten Beitrag, geschrieben an unserem ersten Abend in Tallinn. Heute schicken wir die Fotobeweise hinterher, aufgenommen an unserem zweiten Tag in Tallinn. Quod erat demonstrandum. Dazu noch einer der niedlichen Lieferroboter, die in Tallin im Straßenbild rumstehen und Essen oder andere wichtige Dinge ausliefern. Der musste einfach mit rein.

Stadtmodus

Nach der vielen Natur in den letzten Tagen, wird es mal wieder Zeit für eine Stadtbesichtigung. Und wir sind schnell wieder drin im Stadtmodus. Als erstes geht es hoch hinauf: auf den Turm der Olaikirche, von wo aus wir den Hafen und die Altstadt von Tallinn überblicken und als ganz kleinen Punkt sogar unser Wohnmobil auf dem Parkplatz entdecken. Tipp: im zweiten Bild rechts von der Mitte ist es versteckt.

Im Anschluss lassen wir uns wie gewohnt treiben, mit einigen Fixpunkten, die wir unbedingt sehen wollen: die beeindruckende Alexander-Newski-Kathedrale auf dem Domberg, den Rathausplatz, die Stadtmauer und die mittelalterliche Gasse Katariina käik in der Unterstadt. Außerdem sehen wir wieder einmal Unerwartetes: das wunderschöne Gebäude des Sõprus-Kinos, ein riesiges Solidaritätsplakat am Freiheitsplatz und Spruchbänder, Plakate und Anti-Kriegs-Bekundungen am Bauzaun vor der abgesperrten und verwaisten Russischen Botschaft inmitten der Innenstadt. Wieder einmal werden wir an den Krieg in der Ukraine erinnert und gehen – vielleicht gerade deswegen – zum Mittagessen in das ukrainische Restaurant Odessa einige Meter weiter die Straße hoch. Mit leckeren Pelmeni und Borscht im Bauch besuchen wir am Nachmittag das Stadtmuseum, lassen uns über eine gut gemachte Videoinstallation die Geschichte der Stadt erläutern und besichtigen die vier thematischen Ausstellungen über die Entwicklung der Hanse, Porzellan aus aller Welt, Handtaschen und die Geschichte der Prostitution in Tallinn. Ja, stimmt schon, eine recht krude Mischung, aber als kurzweiliger Abschluss unserer Zeit in Estland passt das ganz gut. Denn mit den Gedanken sind wir bereits auf dem Schiff und auf dem Weg nach Skandinavien.

Erinnerung

Wie bereits erwähnt, war Henrik vor 42 Jahren das erste Mal in Finnland und in Helsinki. Und eine seiner eindrücklichsten Erinnerungen an diese Reise ist bis heute der Besuch in der Temppeliaukio Kirche im Stadtteil Etu-Töölö. Klar, dass wir dort als erstes hingehen, zumal der Tempelberg nur wenige Schritte vom Haus seiner Groß-Großtante entfernt liegt. Und genauso wie Henrik im Jahr 1981 sind wir alle drei vollkommen fasziniert von der in den Fels gehauenen Kirchenhalle. Das hereinstrahlende Sonnenlicht tut sein Übriges zur zeitlos schönen Architektur dazu. Wir könnten ewig hier sitzen bleiben und schauen.

Ausgestattet mit Tageskarten der örtlichen Verkehrsbetriebe zieht es uns im Anschluss kreuz und quer durch Helsinki. Das Olympiastadion wollen wir von seinem Wahrzeichen aus anschauen. Daraus wird allerdings nichts, ein Besuch des 72,71 Meter hohen Olympiaturms ist aufgrund des am Abend stattfindenden EM-Qualifikationsspiels der finnischen Herren-Nationalmannschaft gegen Slowenien nicht möglich (Finnland gewinnt das Spiel 2:0). Macht nichts, weiter gehts zum Denkmal für Jean Sibelius, zum neoklassizistischen Parlamentsgebäude und zum beeindruckenden Jugendstil-Hauptbahnhof. Eines der neuesten Großgebäude in der Innenstadt ist die Bibliothek Oodi, die uns nicht nur architektonisch beeindruckt. Vielmehr ist es das, was im Inneren stattfindet, was uns mehr als staunen lässt: Oodi ist ein Ort der Gemeinschaft, ein Treffpunkt, ein Ort des städtischen Daseins. Oder, wie es auf einer Tafel im Eingangsbereich steht:

Jeder hat das Recht, in der Bibliothek zu sein.
Herumhängen ist erlaubt, ja sogar erwünscht.
Rassismus und Diskriminierung haben in dieser Bibliothek keinen Platz.
Oodi ist unser gemeinsames Wohnzimmer.

Oodi ist an einem Freitagnachmittag sehr gut besucht. Kein Wunder, bei dem Angebot, das i.Ü. komplett kostenlos genutzt werden kann: Bücher, Sitz- und Leseecken, Arbeitstische, Konferenz- und Besprechungsräume, top-moderne Computer, ein Makerspace, 3D-Drucker, UV-Drucker, Scanner und Kopierer, Nähmaschinen, Gaming-Räume, Proberäume und Tonstudios. Das alles, und noch viel mehr, gibt es hier in herausragender Kulisse. Junes ist absolut begeistert und plant bereits seine Petition an den Tübinger Oberbürgermeister. Denn genau so stellt er sich einen Platz vor, an dem er mit seinen Freund:innen nach der Schule gerne abhängen würde. Und es ist ja nicht das erste Mal: bereits in Japan sind wir auf so einen Gemeinschafts- und Begegnungsort gestoßen, der so viel mehr ist, als eine reine Ausleihstation für Bücher.

Wir beschließen unsere Stadtrundfahrt am Senatsplatz mit dem berühmten Dom und am Südhafen, der von der mächtigen Uspenski-Kathedrale dominiert wird. Dann ist es Zeit für uns, in Richtung Campingplatz aufzubrechen. Wir benötigen eine Dusche und gönnen uns aus diesem Grund eine Nacht auf dem teuren, aber eben auch voll ausgestatteten Rastila Camping vor den Toren der Stadt.

Auf Suomenlinna

Einen Tag später sind wir zurück im Zentrum von Helsinki, nur um gleich wieder rauszufahren. Mit der Fähre cruisen wir nach Suomenlinna, so wie an diesem Samstag und bei perfektem Wetter gefühlt sämtliche Bewohner:innen der Stadt. Die ehemalige Festung ist eines der beliebtesten Ausflugsziele für Tourist:innen wie Einheimische und bietet Möglichkeiten zu ausgiebigen Spaziergängen und für Picknicks, diverse Museen, Gastronomie und weitere Optionen für Müßiggang und Zerstreuung. Junes verschwindet für kurze Zeit im Bauch eines finnischen U-Boots, am Hafen findet ein Treffen historischer Schiffe statt, in der Kirche wird geheiratet und per Zufall gelangen wir zur nachmittäglichen Vorstellung des Sommertheaters. So wohnen wir ganz beiläufig einer typischen finnischen Tradition bei, und das auch noch an dem Ort, der wohl die beeindruckendste Kulisse dafür bietet. Ein schönes Erlebnis, auch wenn wir von der Handlung nur wenig verstehen und uns unseren ganz eigenen Reim auf die dargebotene Geschichte machen müssen.

3 Kommentare

  1. Hi family,
    Beautiful photos and interesting architecture.
    Our guess is you are in Finland or further north in the Scandinavian regions.
    Sending you much love ❤️ and Hugs 🤗.
    Happy travels.
    Enjoy.

    1. Hei Denis & Neirouz, so nice to hear from you again. Your guess is right, the blog-post is from Finland, Helsinki to be precise. It’s nearly two weeks ago. Right now we are much farther north, nearby Tromsö, Norway, heading back from the North Cape to the South. We hope that all things in Silver Spring are going well and to see you again sometime soon.
      Greetings from Henrik, Amina and Junes

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