Unsere Woche in Südkorea beginnt und wir sind gleich mal völlig fertig: Im vollgestopften Flugzeug von Taschkent nach Seoul finden wir kaum Schlaf, die Einreise am Flughafen zieht sich wie Kaugummi in die Länge, die Organisation der Fahrt in die Innenstadt ist komplizierter als gedacht und weitere vier Stunden Zeitverschiebung zehren an unserem Biorhythmus. Wir fühlen uns (nicht zum ersten Mal bei dieser Tour) wie Teenager nach einer durchgemachten Nacht (wobei der richtige Teenager unter uns am besten mit Schlafmangel und Reisestress zurechtkommt). Zu allem Überfluss meldet sich bei Henrik der bereits auskuriert geglaubte Infekt aufdringlich zurück, und auch Amina ist mit einer Entzündung leicht angeschlagen. Ihr ahnt es schon, im Hotel wir müssen erst einmal schlafen. Ein Start unter schwierigen Bedingungen und nicht ganz nach Wunsch im Land der Morgenstille und der faszinierenden Megalopolis Seoul.
Amir Timurs Machtzentrum
Doch zunächst noch einmal zurück nach Usbekistan. Am Montag unternehmen wir einen zweiten Rundgang durch das ehemalige Machtzentrum des Herrschers Amir Temur. Wie in Taschkent haben sie ihrem Nationalhelden auch in Samarkand ein Denkmal gebaut, allerdings nicht so zentral gelegen wie in der Hauptstadt. Umso beeindruckender ist das Gebäude des Gur-Emir-Mausoleums. Hier haben vor langer Zeit die Gebeine des Eroberers ihre letzte Ruhestätte gefunden. Von der imposanten Größe der Bibi-Chanum-Moschee haben wir bereits berichtet, an unserem zweiten Tag in Samarkand nun auch genügend Bargeld in der Tasche, um den Eintritt bezahlen zu können. Mit Kreditkarte bräuchten wir es gar nicht versuchen, das teilt uns die Dame an der Kasse umgehend mit. Und das mit demselben unfreundlichen Tonfall, wie am Tag zuvor. Unsererseits kommen an dieser Aussage leise Zweifel auf. Denn einerseits werden Kreditkarten in der gesamten Stadt ohne Probleme akzeptiert, zum anderen versucht die Dame uns ziemlich dreist über den Tisch zu ziehen: 20.000 So’m extra zum regulären Preis schlägt sie oben drauf. Vermutlich hat sie die Hoffnung, dass wir die Tafel mit den Eintrittspreisen nicht richtig lesen können. Nicht wirklich viel Geld für uns, wir stehen aber vor einer Institution im Staatsbesitz und da haben wir ehrlicherweise viel weniger Lust auf einen Extra-Touri-Obulus als z.B. beim kleinen Büdchenbesitzer auf dem Basar. Das sieht auch der freundliche einheimische Fotograf und Tourguide so, bei dem wir zuvor Geld gewechselt haben und der uns jetzt kräftig mit Worten unterstützt. Möglicherweise hat also die Aussage „no credit card“ eher etwas mit dieser unlauteren Praxis zu tun. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.
Ein positiver Kulturschock
Wir sind richtig happy: Koreaner:innen sind so höflich und zuvorkommend. An Ticketschaltern und Metrotüren wird nicht gedrängelt und auf den Straßen wird trotz Dauerstau so gut wie nicht gehupt. Ein positiver Kulturschock, nachdem uns insbesondere das Drängeln und Hupen in Usbekistan zusehends auf die Nerven gegangen ist. Diesbezüglich freuen wir uns schon sehr auf Japan. 🙂 Bei so viel positivem Vibe stört es uns auch überhaupt nicht, dass ab jetzt wieder Maske tragen angesagt ist. Die werden hier nach wie vor drinnen wie draußen von der überwiegenden Mehrheit genutzt. Wir passen uns gerne an und sind damit ja mittlerweile auch gut vertraut.
Nach dem holprigen und verpennten Start entscheiden wir als erstes, länger als geplant in Seoul zu bleiben. Das bedeutet zwar, dass der Haeinsa-Tempel für uns ausfällt, allerdings können wir diese bunte, vollgestopfte, traditionelle, moderne und faszinierende Stadt nicht nach zwei halben Tagen wieder verlassen. Das geht einfach nicht, wie wir schnell merken. Zu groß und weitläufig ist alles, zu vieles gibt es zu sehen, zu viele Gerichte zu schmecken, zu viele Sehenswürdigkeiten und Skurillitäten zu bestaunen.
Alleine die Paläste: fünf der gewaltigen Anlagen aus der Zeit der Joseon-Dynastie sind noch erhalten, drei davon in fußläufiger Nähe zu unserem Hotel. Zwei davon schaffen wir bei unserem Spaziergang vorgestern zu besichtigen: Deoksugung und Gyeongbokgung. Zum Changdeokgung, dem dritten Palast im Bunde, kommen wir leider wenige Minuten zu spät, um 17 Uhr haben sie hier pünktlich Feierabend gemacht. Auf unserem Fußweg zwischen den Palästen sehen wir außerdem das National Folk Museum und das traditionelle Dorf Bukchon Hanok, das trotz allem touristischen Andrang ein ganz normales Wohnviertel ist. Und das alles gibt es für uns gratis, da passenderweise Tag des nationalen kulturellen Erbes und überall Eintritt frei ist. Das erklärt auch die vielen in traditionelle Gewänder gekleideten Besucher:innen, die diesen Tag zum Anlass nehmen, vor kulturell bedeutsamem Hintergrund schöne Fotos zu schießen. Wir ergründen die Details dieses Tuns dann allerdings nicht weiter, steigen in den Bus, meistern die Hürde des Bezahlens beim ausschließlich koreanisch sprechenden Fahrer und steuern zielsicher zum Fuß des Namsan. Denn wie überall wollen wir hoch hinauf.
Seoul von oben erster Teil
Mit der Seilbahn geht es für uns auf den Berg, mit dem Fahrstuhl zur Aussichtsplattform des N Seoul Tower. Mittlerweile ist es dunkel geworden, und … WOW. Uns eröffnet sich ein absolut gigantischer Ausblick auf eine der größten Metropolregionen der Welt. Nach allen Richtungen erstrecken sich Lichtbänder von schier unendlichem Ausmaß. Rein für sich ist dieser Anblick faszinierend und erhaben. Ein bisschen wie im Miniaturwunderland, nur in echt. Wir stehen und staunen lange, gehen immer wieder hierhin und dorthin, permanent die Lichter der Stadt im Blick. Und die Besucher:innen der Damentoilette dürfen diesen Anblick sogar vom Toilettensitz aus genießen. 🙂
Zweifelhafter Abenteuerspielplatz
Einen Tag später machen wir lediglich einen kurzen Ausflug, bei Henrik schlägt der Infekt heftig zu. Wir fahren zur koreanischen Kriegsgedenkstätte, einem Ensemble aus Denkmälern, einem dazugehörigen Museum und einer martialisch daherkommenden Ansammlung von altem Kriegsgerät. Gedacht wird hier der Opfer des Koreakriegs und der erzwungenen Teilung des Landes vor über 75 Jahren. Die Anlage hinterlässt bei uns einen zwiespältigen Eindruck, fröhlich winkende Kinderfiguren vor einem B-52 Langstreckenbomber sind jetzt nicht gerade so unser Ding. Auch dass die Panzer, Geschütze und Raketen von Familien als eine Art Abenteuerspielplatz genutzt werden, wirkt auf uns eher befremdlich (gleichzeitig kommt uns da so eine Nummer von Uli Keuler in den Sinn). Die immense Ansammlung von Waffen will nicht so recht zu einem Ort passen, an dem doch eigentlich der Schrecken des Krieges gedacht wird. Wobei nicht vergessen werden darf, dass sich Südkorea nach wie vor in einer militärischen Auseinandersetzung mit Nordkorea befindet und beide Länder nicht ohne Grund zahlenmäßig mit die größten Streitkräfte weltweit unterhalten. Vielleicht gibt es auf diesem Hintergrund bei den Menschen hier eine ganz andere Sicht auf die Dinge, als wir sie aufbringen können. Das nordkoreanische Regime jedenfalls scheut sich nicht davor, die Bedrohung für den Süden der Halbinsel konstant aufrecht zu erhalten, wie die jüngsten Raketenabschüsse einmal mehr zeigen.
Seoul von oben zweiter Teil
Wir hätten ja nicht gedacht, dass wir noch mehr ins Staunen geraten können, als vor zwei Tagen auf dem N Seoul Tower. Falsch gedacht. Der Blick aus fast 500 Metern Höhe vom Lotte World Tower, dem fünfthöchsten Gebäude weltweit, verschlägt uns endgültig den Atem. Eine nicht enden wollende Ansammlung von Hochhäusern, in alle Richtungen, soweit das Auge reicht. Selbst ganz da hinten, bei den Bergen, stehen noch weiße Silhouetten in der Landschaft. Erst aus dieser Höhe und mit diesem Blick wird ein wenig begreifbar, wie viele Menschen hier auf dichtem Raum versammelt sind. Oder auch nicht, denn mehr als ein rein rationales Erfassen ist für uns als Besucher:innen gar nicht möglich. Spannend ist der Gedanke schon, wie viele Monate oder Jahre man bräuchte, um alle Straßen dieser Stadt abzuklappern oder zumindest in jedem Stadtviertel mal ein Bier oder einen Kaffee zu trinken. Mit dem Auto unterwegs in den notorisch verstopften Straßen dürfte das eine ganze Weile dauern.
Den Rest des Tages verbringen wir mit Metro- und Busfahren, spazieren im eiskalten Wind am Fluß Han (und nehmen das erstbeste Café zum Aufwärmen dankbar an), stolpern mal wieder über ein bisschen Peru, finden lustige Automaten und als krönenden Abschluss eine sehr spezielle Tankstelle, wo die Tankrüssel vom Himmel herunterzuschweben scheinen. Quasi ein Paradies für CSU-Bundesverkehrsminister. Ach ja, und wir essen selbstverständlich leckerstes koreanisches Essen. Wie in den letzten Tagen schon. Davon erzählen wir aber erst beim nächsten Mal.
25 Millionen Menschen in einer Metropolregion kann ich nicht mal rational erfassen. Gewaltig. Danke für die Schilderungen und Fotos!
Was werdet ihr wohl in Tokyo sagen?
Bei betrachten der Fotos dachte ich, ich bin wechselweise in China, Japan, oder doch noch in Süd Korea?
Alles sieht sich irgendwie ähnlich.
Aber, ihr werdet bestimmt weiter berichten…..
Gute Besserung den erkrankten!