Wir können Finnland fast schon sehen. Irgendwo hinter dem Reisiterminal A am Fährhafen von Tallinn muss es sein. Aber bevor wir das Baltikum endgültig hinter uns lassen und uns nach Skandinavien aufmachen, steht uns noch eine Nacht auf dem Parkplatz direkt am Hafen bevor. Inmitten von Baustellen, dem An- und Abreiseverkehr zu den Fähren und zahllosen Alkohol-Supermärkten, in denen sich finnische Tagestourist:innen mit (für ihre Verhältnisse) günstigen Alkoholika eindecken. Heute geht es einigermaßen entspannt zu, es ist aber auch Wochenmitte. Wir sind ganz froh, die berichteten Eskapaden an einem Wochenend-Tag in Tallinn nicht miterleben zu müssen.
Apropos Tallinn: die estnische Hauptstadt ist der eigentliche Grund, weswegen wir hier ganz uncharmant am Hafen rumstehen. Den Tag heute haben wir mit viel Organisation verbracht: Wasser, Diesel und Vorräte auffrischen, mehrere erfolglose Versuche, unsere deutsche Gasflasche neu befüllen zu lassen, Abwasser und Toiletteninhalt entsorgen, Fähre buchen, Mathe lernen usw. usw. Irgendwann war klar: den geplanten Stadtbummel verschieben wir wohl besser, das wird heute nix mehr. Also ab zum Hafenparkplatz, denn von hier aus sind wir morgen früh in wenigen Minuten in der Altstadt und gleichzeitig nur wenige Meter von den Verladerampen entfernt, über die es morgen Nachmittag für uns auf die MS Finlandia geht.
Doch vorher belohnen wir uns für unseren Fleiß und gehen unglaublich lecker essen: The Kurze heißt das Restaurant unseres Vertrauens und dort gibt es georgische Küche vom Allerfeinsten. Für uns ein Flashback zurück in den Winter, mit Adjarian Khachapuri, Kurze und anderen Köstlichkeiten. In einem freundlichen, stilvollen und unaufgeregten Ambiente. Alles ganz nach unserem Geschmack!
Nett hier. Aber waren Sie schon mal in …
Also dass man weltweit auf Aufkleber deutscher Fußballkurven und den dort heimischen Fanclubs und Ultragruppierungen trifft, ist nun wahrlich keine große Neuigkeit. Kaum ein Land, in dem Fans von Eintracht Frankfurt, dem Hamburger Sportverein oder von Mainz 05 nicht ihre klebenden Spuren hinterlassen. Ganz vorne dabei in diesem Business sind seit jeher die Anhänger:innen des größten Sportvereins in Baden-Württemberg, dem VfB Stuttgart. Siehe nicht nur das Beispiel in der Fotogalerie (geknipst am Hill of Crosses in Litauen), auch in Riga wurden wir diesbezüglich schnell fündig. So wie in Japan, den USA und an vielen anderen Orten. Dass wir allerdings bereits zum zweiten Mal auf unseren Weltreisen auf einen Aufkleber der zumindest seltsam anmutenden Imagekampagne THE LÄND unseres heimischen Bundeslandes stoßen, hinterlässt uns doch reichlich ratlos. Und damit meinen wir nicht das Plakat am Stuttgarter Flughafen, das uns bereits zweimal freundlich willkommen zuhause geheißen hat. Sondern den in der Fotogalerie abgebildeten Aufkleber. Wer klebt sowas? Und vor allem: wer klebt sowas an den höchsten Punkt des Stützbalkens der Aussichtsplattform mitten im wunderschönen Viru-Hochmoor? Also in mehr als drei Metern Höhe über dem Boden, unerreichbar selbst für Basketballprofis. Die Motivation dahinter kommt uns äußerst fragwürdig vor. Es gibt Dinge auf dieser Welt, die sollte man besser nicht ergründen.
Ganz anders verhält es sich mit den Naturschauspielen, die uns auf dem Weg in Richtung des Nationalparks Lahemaa begegnen. Die ergründen wir gerne und mit großer Freude: den größten natürlichen Wasserfall in Estland sowie besagtes Viru-Hochmoor, durch das uns ein gut begehbarer Lehrpfad führt und das uns mit einem Farbenspiel sondersgleichen verzückt. Tiefblaues Wasser steht in den Tümpeln, grün-gelb-rötlich schimmert die Moorlandschaft drum herum. Faszinierende Vegetation, eine gute Infrastruktur und dazu die hoch-informative und intuitiv zu bedienende Wander-App des RMK, so geht naturnaher Tourismus in Perfektion! Wieder mal ein echtes Highlight unserer Reisen.
I fahr Daimler …
Langsam wird es unheimlich. Nein, nicht die verlassene russische Siedlung in Suurpea auf der Halbinsel Pärispea, die wir auf dem Weg zur Nordspitze des Landes passieren. Denn davon sehen wir leider gar nicht so viel, und verlassene Gebäude und Siedlungen hatten wir in den Ländern des ehemaligen Ostblocks nun schon öfter. Vielmehr beunruhigt uns die Tatsache, dass wir hier am nördlichen Ende des Baltikums ein weiteres Mal mit Baden-Württemberg bzw. seinen untrüglichen Signets konfrontiert werden. Das kann doch kein Zufall mehr sein, oder? Denn kaum haben wir es uns an der Feuerstelle auf dem Zeltplatz Purekkari gemütlich gemacht, kommt mit großem Aufgalopp die aktuelle Modellpalette des Sindelfinger Autokonzerns mit Stern auf die kleine Wendeplatte vorgefahren und wird nach und nach ordentlich rückwärts eingeparkt. Was um alles in der Welt wird das jetzt? Für ein Fotoshooting ist es viel zu staubig, für ein Tuning-Treffen sind die Wagen schlicht zu gewöhnlich (wenn auch teuer). Und überhaupt: wieso steht da auch noch ein Food-Truck? Sicher nicht wegen ein paar verstaubter Camper:innen, die auf klapprigen Faltstühlen vorm Lagerfeuer hocken. Am Ende lösen wir diese Fragen nicht endgültig auf, kommen nach messerscharfer Analyse für uns jedoch zur Erkenntnis, dass es sich um den Betriebsausflug eines heimischen Mercedes-Autohauses handeln muss. Und dass der Chef aus diesem Anlass allen Mitarbeitenden eine Runde im EQS, EQE, GLC, GLE, GLS, Vito, in einem AMG und in einer S-Klasse spendiert hat. Oder im kultigen 190er, der als Reminiszenz an eine vergangene (bessere?) Automobilepoche ebenfalls mit von der Partie ist. Nach einer knappen Stunde ist der Spuk wieder vorbei, der erneut aufgewirbelte Staub legt sich und gibt (wieder einmal) den Blick auf einen herrlichen Sonnenuntergang frei, den wir von unserem Logenplatz aus quasi frei Haus genießen dürfen.
Nächster Tag, immer noch im Nationalpark Lahemaa. Wir fahren nach Oandu, wo wir beginnend am Naturzentrum den knapp fünf Kilometer langen Naturwaldwanderweg gehen. Eine märchenhafte, mystische Stimmung begleitet uns durch diesen echten Urwald, der Lebensort für Bären, Elche und Luchse ist (die wir allerdings alle drei nicht zu Gesicht bekommen). Hinter jeder Ecke wird das Unterholz verschlungener und dichter. Immer tiefer hinein in den Wald führt uns der Weg. Vögel kreischen in der Luft, fast wähnen wir uns im Dschungel. Nach einer knappen Stunde tauchen wir im wahrsten Sinne des Wortes wieder auf, raus aus dem Gewirr des Gehölzes und machen uns auf nach Käsmu, unserer nächsten Station.
Pittoreskes Dorf, lustiger Name. Aussichtsturm, kleiner Hafen, Meeresmuseum. Das ist Käsmu. Magnet für Tourist:innen, wobei: so ganz verstehen wir nicht, wieso. Ganz hübsch ist es ja. Eine schöne Lage am Meer. Doch so richtig gepackt werden wir von Käsmu nicht. Wir könnten jetzt am Strand und Meer entlanglaufen und versuchen, Käsmu zu genießen. Aber wir kommen doch gerade erst von einer Wanderung. Wir könnten auch gleich wieder zurück nach Pärispea fahren und dort den Nachmittag auf dem schönen Lahemaa Campingplatz verbringen. Und gemütlich Nichts tun. Oder endlich mal das Wohnmobil putzen. Oder beides. Käsmu schauen wir uns einfach beim nächsten Mal an. Wenn wir noch einmal wiederkommen. Ganz sicher. Versprochen.