Vor unserem Stadtbummel in Oslo gehen wir erst mal essen. Im weniger norwegisch, als eher typisch großstädtischen Streetfood-Court Vippa. Lecker ist es in jedem Fall. Und plötzlich zieht die Fähre nach Kopenhagen formatfüllend an den großen Fenstern der Halle vorbei. Tolles Bild. Gestärkt geht’s zur Festung Akershus und dort ins Hjemmefrontmuseum, in dem die Geschichte der deutschen Besatzung sowie der norwegischen Wiederstandsbewegung von 1940 bis 1945 erzählt wird. Ein Thema, dass uns bereits in Danzig im großen und modernen Museum des Zweiten Weltkriegs begegnet ist. Hier in Oslo steht sehr viel weniger Fläche für die Ausstellung zur Verfügung, eine Menge an Bildern und Dokumenten auf engem Raum. Es ist ganz schön voll, viele Menschen interessieren sich für diesen traurigen und gleichzeitig prägenden Teil der norwegischen und europäischen Geschichte. Das ist gut so, denn die Beschäftigung damit erscheint uns aktuell notwendiger den je. Gleichzeitig macht es den Besuch ganz schön anstrengend, und es fällt schwer, sich konzentriert mit den langen Texten auseinanderzusetzen.

Lebendiges Miteinander

Eine halbe Stunde später erwartet uns ein vollkommen gegensätzliches Bild: raus aus den dunklen Museumsräumen, rein in das wuselige Treiben in Bjørvika. Das moderne Viertel an der Küste des Oslofjords ist eines der größten Bauprojekte in der Geschichte der Stadt. Seit 20 Jahren wird hier gearbeitet und ein neues Stadtzentrum entwickelt, mit den Neubauten der Deichmanske Bibliothek und des Munch-Museums als aktuellste Errungenschaften. Zusammen mit dem 2008 eröffneten Opernhaus ergeben diese ein beeindruckendes städtebauliches Ensemble, das die Menschen in Scharen anzieht. Die neue Bibliothek ist – ganz ähnlich wie in Helsinki – ein Ort der Gemeinschaft, gleichzeitig Treffpunkt, Lernort, Kreativzentrum und Rückzugsraum, das Opernhaus ist eine innen wie außen begehbare Stadtkulisse und in den Fenstern des Munch-Museums spiegeln sich die Wellen der Bucht Bjørvika. In dieser wiederum wird gepaddelt und geschwommen, von mobilen Saunen ins Wasser gesprungen und Schiffe aller Größen kreuzen hindurch. Ein unglaublich lebendiger Ort, sichtbares Zentrum einer offenen Stadtgesellschaft, Symbol für ein friedliches Neben- und Miteinander. Und damit im krassen Kontrast stehend zum letzten Ort unseres Rundgangs durch die Hauptstadt.

Wahnsinniger Hass

Ein typisches, fast schon langweiliges Eckhaus im Regierungsviertel. Es könnte genauso gut in einem x-beliebigen Büroviertel in jeder anderen Großstadt weltweit stehen. Hier begann am 22. Juli 2011 um 15.25 Uhr das Grauen der Terroranschläge von Oslo und Utøya. 77 Menschen mussten sterben, unter ihnen viel zu viele Jugendliche. Kaltblütig ermordet bei einem der schlimmsten und erschütterndsten Ereignisse der vergangenen Jahrzehnte. Opfer des Wahnsinns eines Rechtsextremisten. Wir stehen vor dem Zentrum 22. Juli, das an dieser äußerlich unscheinbaren Kreuzung im Regierungsviertel untergebracht ist. Ein Erinnerungs- und Lernort über die unfassbare Tragödie. Leider sind wir zu spät, das Zentrum ist für heute bereits geschlossen. Doch schon der Blick auf die im Schaufenster ausgestellten Titelblätter der Tageszeitungen ruft ins uns das Entsetzen von damals hervor und lässt uns schaudern. Das langweilige Eckhaus reiht sich ein in eine lange Liste von Orten menschlicher Grausamkeit, die wir auf unseren Reisen besucht haben. Und doch werden wir es wohl nie verstehen. Der Irrsinn des Mordens und Tötens, der Wahnsinn von Hass und Vernichtung bleiben uns für immer unbegreiflich.

Berührende Menschlichkeit

Am nächsten Tag verabschieden wir uns von Cordula, Brynjulv, ihren Söhnen und der grandiosen Gastfreundschaft, die wir erleben durften und mit der wir umsorgt wurden. Wir werden gerne wiederkommen! Auch von Oslo müssen wir uns verabschieden. Aber nicht, ohne vorher noch eine der größten Attraktionen der Stadt besichtigt zu haben: die Vigelands-Anlage im Frognerpark. Eine Ansammlung von 212 Skulpturen des norwegischen Bildhauers Gustav Vigeland, die Amina und Henrik bereits von früheren Besuchen in Oslo kennen. Seit vielen Jahren hängt ein Foto davon in unserer Wohnung. Vigelands Figuren symbolisieren den Kreislauf des Lebens und bringen auf berührende Weise menschliche Regungen wie Freude, Liebe, Zärtlichkeit, Hingabe, Fürsorge, Behutsamkeit, Achtung, Anteilnahme und Ermunterung zum Ausdruck. Wobei unsere Fotos sicher nur einen Bruchteil der würdevollen Anmut transportieren, die die massiven Skulpturen bei einem Besuch vor Ort entfalten. Unbedingt sehenswert!

Waffeln mit Kulturgeschichte

Wir haben noch ein wenig Zeit. Die nehmen wir uns für das Norsk Folkemuseum, das zentrale kulturhistorische Museum in Norwegen. Wie bereits zuvor in Litauen und Lettland nutzen wir die Gelegenheit zu einem ausgiebigen Spaziergang und informieren uns nebenher ein wenig über die Entwicklung von Ansiedlungen, Dörfern, bäuerlichem und städtischem Leben in Norwegen. Wobei wir am Ende vermutlich nur einen Bruchteil aller Ausstellungsexponate und der angebotenen Informationen sehen und wahrnehmen. Denn irgendwann wollen wir dann doch raus aus der Stadt und zurück in die Natur. Aber erst nach einer Portion Waffeln mit Rømme und Erdbeermarmelade im Museumscafé. Auch ein Stück Kulturgeschichte und sehr zu empfehlen. 🙂

In den Schären

Wir verbringen eine ruhige Nacht im kleinen Hafen von Viker. Das liegt mitten im Ytre-Hvaler-Nationalpark in den Schären an der norwegisch-schwedischen Grenze. Am nächsten Morgen fahren wir noch einige Kilometer weiter, um von Hvaler aus die wunderschöne Wanderung Kyststien zu gehen. Bzw. einen Teil davon. Uns erwartet eine herrliche Schärenlandschaft, die wir schon bei unserem Besuch auf Åland genießen konnten. Am Nachmittag ziehen wir weiter, legen einen Kurzbesuch an der höchsten Schleusentreppe Europas ein und passieren etwas später die Grenze zu Schweden. Nächster Länderpunkt auf unserer Reise.

Göteborg-Humor

So ganz verstanden haben wir es am Ende nicht, wie das mit dem Göteborg-Humor funktioniert. Irgendwie ist es wohl so, dass sich die Göteborger:innen permanent über alle und alles lustig machen, Gebäuden lustige Spitznamen geben und andauernd Wortspiele und Kalauer zum Besten geben. Die Mann-Frau-Besatzung unseres Paddan-Bootes jedenfalls schmeißt in Sachen Humor und Entertainment alles in die Waagschale. Mit einem dieser offenen Kähne machen wir eine Stadtrundfahrt zu Wasser, durch die alten Kanäle und den Hafen, rund um das Viertel Inom Vallgraven. Unser Stadtführer beweist wahres Comedy- und Showtalent am Mikrofon, die Kapitänsfrau im Heck untermalt das Ganze mit hinreißend choreografierter Gestik und Mimik. Nebenbei steuert sie das Boot sicher über die schmalen Kanäle und unter den niedrigen Brücken hindurch, vorbei an Ausflugsbooten wie der S/S Bohuslän, der Viermastbark Viking und an den für immer stillstehenden Kranskeletten im Hafen der Stadt. Wir lernen, dass die Göteborger:innen das ziemlich einzigartige Skanska-Hochhaus Lippenstift nennen und für das aktuell noch im Bau befindliche Karlatornet-Hochhaus bereits vor der Fertigstellung zahlreiche Namensvorschläge kursieren. The Zipper – Der Reißverschluss ist einer davon und der erscheint uns recht passend. Nach einer Stunde endet die Sightseeing-Tour der ganz besonderen Art und wir kehren aufs Beste unterhalten zurück an Land und ein ins Café Du Nord, wo wir die angeblich besten Köttbullar von ganz Göteborg genießen. Und was sollen wir sagen, die waren echt ziemlich lecker. 🙂 Also wenn ihr mal nach Göteborg kommt …

Den Nachmittag verbringen wir schon wieder auf dem Wasser: von Saltholmen aus nehmen wir die Fähre des ÖPNV und schippern durch den südlichen Schärengarten von Göteborg. Mit unserem Tagesticket können wir mit den Schiffen so viel umherfahren, wie wir möchten. Wir tuckern bis zur südlichsten Insel Vrångö, bleiben bequemerweise direkt an Bord und nehmen dieselbe Route wieder zurück zum Fähranleger. Pünktlich, als wir in die Tram in Richtung Innenstadt steigen, beginnt es zu regnen. Wieder mal haben wir den Wettergott auf unserer Seite. Mit dem Bus 35 geht es im Anschluss bis zur Endhaltestelle am Säve Flygplats und unserem Stellplatz am Aeroseum. Was sich dahinter verbirgt und wieso wir gerade dort zwei Nächte verbringen, das erzählen wir im nächsten Beitrag.

4 Kommentare

  1. Hallo Ihr Drei!
    Soeben habe ich euch eingeholt. Unverständlicher Weise habe ich nach eurer Reise durch Japan keine Newsletter mehr bekommen.
    Da habe ich nun genug Stoff zum nachlesen.
    Wie ich allem entnehmen kann, seid ihr gut durchgekommen und um sehr viele Erlebnisse erneut reicher geworden. Langsam, aber sicher geht das Abenteuer dem Ende entgegen.
    Liebe Grüße und weiterhin gute Fahrt!
    Jindra

    1. Hallo Jindra,
      seltsam, ich hatte keine Fehlermeldungen beim Newsletter-Versand erhalten. Aber schön, dass du jetzt noch alle Beiträge lesen kannst.
      Grüße
      Henrik

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