Irgendwie soll es so sein: Egal wo wir gerade hinkommen, geraten wir zufällig in Großereignisse, die wir bei unseren Planungen überhaupt nicht auf dem Zettel haben konnten. Eigentlich hatten wir ja vor, erst ein paar Tage später in New York anzukommen. Dann hätten wir allerdings die größte Halloween-Parade der Welt verpasst, die uns bis vor ein Tagen noch kein Begriff war. Und in Philadelphia wären wir nicht mitten in die Vorfreude und Anspannung tausender Fans bei einem der wichtigsten Sportereignisse der USA hineingeraten.

Halloween in New York

Unseren dritten Tag in New York starten wir in der Christopher Street, dem vielleicht wichtigsten Symbol für LSBTTIQ-Menschen weltweit. In der Bar Stonewall Inn kam es 1969 zum sogenannten Stonewall-Aufstand, ein wichtiger, wenn auch gewalthaltiger Wendepunkt im Kampf der LSBTTIQ-Menschen für Anerkennung und Gleichberechtigung. Bis heute wird der Jahrestag der Unruhen als Christopher Street Day in vielen Ländern begangen und ist Ausdruck für die Selbstermächtigung von LSBTTIQ-Menschen und eine Feier für Diversität und Vielfalt.

Weiter treibt es uns am Ufer des Hudson entlang quer durch die Stadteile Greenwich Village und Chelsea, zum Washington Square und weiter Richtung Südosten über die Bleecker Street zu Katz’s Delicatessen, vermutlich eines der bekanntesten Restaurants der Stadt. Dort wollen wir zu Mittag essen, auch wenn wir dafür erst einmal eine halbe Stunde Schlange stehen müssen. Drinnen ist dann wieder Hauen und Stechen und Geschiebe an der Selbstbedienungstheke, am Ende aber haben wir leckere und kalorienreiche Pastrami- und Reuben-Sandwiches vor uns liegen, einen Sitzplatz inmitten all des Trubels und genießen. Allerdings nicht so, wie in der legendären Filmszene aus „Harry meets Sally“. Und auch um uns herum wird mehr gegessen als philosophiert. 🙂

Nach einem sehr guten Kaffee im Café Mogador setzen wir uns zum weiteren Verdauen in den Tompkins Square Park im East Village und staunen nicht schlecht, als wir dort mit einem Punkrock-Konzert beglückt werden. Jagger und Josh sind Plastic Baby Jesus und spielen sehr zu unserer Freude Covers von Nirvana, den Ramones und eigene Kompositionen. Josh klingt ein wenig wie sein großes Vorbild Kurt Cobain (davon erzählt er uns zwischen zwei Songs). Jagger spielt erst seit drei Monaten Schlagzeug, es holpert noch ein wenig, aber hey, who cares? Jedenfalls niemand im Park, denn alle um uns herum hören gespannt zu, machen Fotos und Videos und nehmen die Flyer für das kommende Konzert am 11. November mit. Jung und alt einträchtig nebeneinander. Ich kann mir das in einem deutschen Park, selbst in Berlin, eigentlich kaum vorstellen. Umso schöner, dass es eine Stadt gibt, in der das einfach so geht. Ganz im Geiste des ehemaligen CBGB nicht weit von hier, das es leider seit vielen Jahren nicht mehr gibt, und im Sinne all der vielen Clubs, Kneipen und Jugendhäusern, die jungen Musiker:innen Möglichkeiten für Auftritte und Konzerte geben.

Dann machen wir uns auf, um rechtzeitig vor Beginn der Halloween-Parade wieder in Greenwich Village zu sein. Allerdings nicht ohne auf dem Weg dorthin durch Soho, Little Italy und ein weiteres Mal durch China Town zu laufen. Je näher wir der 6th Avenue kommen, desto voller werden die Straßen, die teilweise bereits für den Autoverkehr abgesperrt sind. Es herrscht schon wieder Trubel, überall sind gut gelaunte und kostümierte Menschen unterwegs und uns wird zunehmend die Bedeutung sichtbar, die dieses Fest in den USA hat. Eine nette Beobachtung machen wir dabei auch noch: In Ermangelung von eindeutigen Haustüren gehen die Kinder der Stadtteile für „Trick or Treat“ einfach in die ortsansässigen Geschäfte, Restaurants, Imbisse, usw. Clever!

Die Parade selbst ist ein wenig wie ein Karnelvalsumzug und doch ganz anders. Es ist die einzige nächtliche Parade in NYC und die meisten der Teilnehmer:innen nehmen ohne Anmeldung und unorganisiert teil. Dafür gibt es extra einen separat ausgewiesenen Bereich am Startpunkt, der nur in Kostüm betreten werden darf. Wer dort rechtzeitig ankommt, darf mitlaufen. Eine Veranstaltung der Bürger:innen. Ob sie uns in unseren Kostümen „typical German tourists in functional wear“ auch akzeptiert hätten? Wir haben es nicht ausprobiert, es wäre für uns dann auch zu spät geworden. Wir machen lieber viele Fotos, beklatschen die fantasievollen Kostüme und machen uns nach eineinhalb Stunden bei einsetzendem Regen auf den Heimweg.

Let’s go Philly!

Nächster Stop Philadelphia. Also nicht ganz, erst einmal wieder ein Day Off auf dem Lums Pond Campground in Delaware, um ausgiebig den Tag zu vertrödeln, Wäsche zu waschen und das Wohnmobil zu putzen. So ganz wollen wir den Tag dann aber doch nicht verstreichen lassen und entscheiden uns, am Abend das Spiel der 76ers in der Wells Fargo Arena zu besuchen. NBA Basketball, nach Baseball und Ovalrennen für uns die dritte der insgesamt fünf bzw. mittlerweile sogar sechs zentralen Sportarten hier in den USA. Jetzt fehlen uns noch American Football (kommt noch), Eishockey (kommt vielleicht noch) und Soccer (kommt nicht mehr, da kurz vor Saisonende). Die Tickets für das Spiel kosten lediglich fünf Dollar, teurer sind da schon die Gebühren von acht Dollar pro Ticket, da wir unsere drei Karten ausschließlich über ein Wiederverkaufsportal im Internet erwerben können. Und noch viel teurer sind die Parkgebühren: 50 Dollar berappen wir, um unser Wohnmobil auf einem der Parkplätze rund um die drei großen Sport-Arenen abstellen zu können. Wenig später mit neuen Informationen wundert uns das allerdings gar nicht mehr:

World Series

Dass Philadelphia gerade die Sportstadt in den USA ist, war uns bereits klar: In der NFL liegt das American Football Team der Philadelphia Eagles mit acht Siegen und null Niederlagen auf dem ersten Platz der Gesamttabelle, das Major League Soccer Team Philadelphia Union spielt am Wochenende das Meisterschaftsfinale gegen Los Angeles FC und das Baseball Team der Philadelphia Phillies hat die World Series erreicht, die Finalspiele der MLB. Dass die Best-of-Seven-Finalserie im Moment gerade läuft, wussten wir auch schon. Dass die Phillies vorgestern, gestern und heute ihre drei Heimspiele spielen, war uns allerdings neu. Bei dem riesigen Hype rund um diese Spiele und bis zu vierstelligen Ticketpreisen erklärt sich der Tarif für unseren Parkplatz plötzlich ganz von selbst. Finale ist für viele Sportfans eben nur einmal im Leben. Wir schlendern also zunächst zum Baseball-Stadion, vorbei am Tailgaiting auf den vielen Parkplätzen. Die Aufregung und Spannung bei den Fans ist deutlich spürbar: die Phillies sind seit vielen Jahren endlich wieder in die Finalspiele gekommen, der Gegner Houston Astros hingegen ist dort etablierter Dauergast. Und nicht nur das, mit zwei gewonnenen Spielen im Rücken könnten die Phillies in den beiden anstehenden Heimspielen die Serie gewinnen und im eigenen Stadion Meister werden. Was für Aussichten!

(Leider für kommt es am Ende anders und die Astros gewinnen Spiel vier am gestrigen Abend als historischen sogenannten No-Hitter mit fünf zu null. Im heutigen Spiel führen die Astros kurz vor Spielende mit drei zu eins und die Entscheidung über die World Series wird somit erst am kommenden Wochenende in Houston fallen).

Showtime in der NBA

Doch wir wollen ja zum Basketball und laufen vorbei am riesigen Football-Stadion der Eagles in die Arena, in der die 76ers rund um James Harden ihre Heimspiele austragen. 20.000 Menschen passen hier rein, und zumindest nach der Halbzeit sind die Ränge gut gefüllt. Leider bringen wir dem Heimteam einmal mehr kein Glück und die 76ers verlieren mit 111 zu 121 gegen die Washington Wizards mit ihrem lettischen Spieler Kristaps Porziņģis. Dieser gilt als eines der größten Talente im europäischen Basketball und wird öfters mit Dirk Nowitzki verglichen. Ab und an lässt er das auch aufblitzen, tolle Bewegungen und sehr sichere Würfe. Rund um das Spiel wird unglaublich viel Show und Unterhaltung geboten. Keine Pause bleibt ungenutzt, um kleine Gewinnspiele zu spielen, T-Shirts in die Menge zu schießen oder Showeinlagen zu präsentieren. Alles sehr laut, bunt, unterhaltsam und kurzweilig. Wir haben jedenfalls eine Menge Spaß.

Stadtbummel

Heute fahren wir gleich noch einmal nach Phila und machen dort einen ausgedehnten Stadtbummel. Erster Anlaufpunkt sind die berühmten „Rocky Steps“, 72 Stufen die zum Philadelphia Museum of Art hinaufführen. Ihren Spitznamen haben die Treppenstufen nach der ikonischen Filmszene aus dem Film „Rocky“ verliehen bekommen. Von ganz oben hat man einen wunderbaren Blick über den Benjamin Franklin Parkway auf die Skyline der Stadt. Der Filmfigur des Rocky Balboa und gleichermaßen dem Schauspieler Silvester Stallone ist neben den Stufen seit einigen Jahren außerdem eine Statue gewidmet.

Nach leckerem Mittagessen bei Pete’s Famous Pizza spazieren wir weiter durch Gassen mit alten Backsteingebäuden und quer durch die Innenstadt mit alten und neuen Wolkenkratzern zur Old City. Dort sind viele für die amerikanische Geschichte zentrale Gebäude und Wahrzeichen versammelt, u.a. die Independence Hall sowie die Liberty Bell. Leider ist gerade viel Baustelle in der Old City, das nimmt der historisch bedeutsamen Ansammlung von Gebäuden ein wenig den Glanz. Sehr gut gefällt uns allerdings die Elfreth’s Alley, eine enge Gasse mit den ältesten noch bewohnten Häusern der USA. Ein schöner Abschluss eines entspannten Nachmittags in einer bedeutungsvollen Metropole des Landes, den wir nach dem Trubel in New York City und dem gestrigen Abend unter Tausenden von Sportfans umso mehr genießen können.

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