Es gibt Momente, da läuft’s nicht so gut. Gestern Nachmittag zum Beispiel: Auf einer Strecke von über 60 Kilometern finden wir ausschließlich geschlossene Tankstellen vor, während unsere Tankanzeige eine gefühlte Ewigkeit warnend vor sich hinblinkt. Mit vier Litern Rest-Diesel rollen wir schließlich erleichtert vor eine Zapfsäule. 75 Minuten Stress, denn auf der engen und kurvigen Straße durch die Ōboke-Schlucht will man ganz sicher nicht mit leerem Tank liegenbleiben. Zeit kostet uns die Aktion ebenfalls, denn unser eigentliches Ziel im Iya-Tal können wir jetzt erst nach einem ziemlichen Umweg ansteuern. Auf diesem bringen uns vier japanische Jungschnösel in ihren überzüchteten Sportwagen bei einem unnötigen und waghalsigen Überholmanöver in eine richtig gefährliche Situation. Gleich noch einmal Stress, den niemand braucht. Die Stimmung im Wohnmobil ist damit erst einmal im Keller. Zu guter Letzt entpuppt sich der vielgepriesene Chichibugahama Beach als überlaufener und gar nicht mal so toller Ort. Der stürmische Wind treibt den Sand quer über den Parkplatz, der Sonnenuntergang versteckt sich hinter einer Wolkenwand und kommt ein wenig enttäuschend rüber. Übernachten wollen wir auf dem ziemlich unwirtlichen Parkplatz auch nicht, also müssen wir doch noch einmal den Motor starten und im Dunkeln einen besseren Platz suchen. Das haben wir uns anders vorgestellt. 🙁

Es gibt Momente, da läuft’s richtig gut. So z.B. als wir 30 Minuten später ein gut gelegenes Michi no eki mit sauberen Toiletten, angeschlossenem Restaurant und Onsen ansteuern, Henrik und Junes beim abendlichen Bad im heißen Quellwasser Teruhiko kennenlernen, spontan eine Verabredung zum Abendessen treffen und wir drei mit Teruhiko und seiner Ehefrau bei Curry, Ramen, Bier und Tee einen wunderbaren Abend verbringen. Die beiden haben mit ihren vier Kindern bis 2022 für vier Jahre in den Niederlanden gelebt und in dieser Zeit nahezu ganz Europa bereist. Es gibt also sehr viel zu erzählen und auszutauschen.

Auch heute am nächsten Morgen läuft es immer noch richtig gut. Wir bekommen in kurzer Zeit zwei Probleme mit unserem Wohnmobil gelöst und dabei wunderbare Unterstützung von den Mitarbeiter:innen eines Baumarkts und einer Camper-Werkstatt. Da kann selbst das plötzlich wieder kalte und klamme Wetter die positive Stimmung nicht trüben. Wir sind inzwischen abgehärtet, werfen die Jacken über und spazieren trotz kühler Temperaturen durch den Ritsurin-Park, den größten Wandelgarten in ganz Japan. Was für eine idyllische Atmosphäre im Herzen einer Großstadt. Und mitten drin die knallbunten Kois in goldgelb, silber, rot-gescheckt und mit dem japanischen Sonnenkreis auf der Stirn. Nach leckeren Udon-Nudeln in einem kleinen, urigen Restaurant geht’s zu unserer letzten Station auf Shikoku, den berühmten Naruto-Strudeln. Leider strudelt das Wasser gerade kaum, die Naruto-Straße ist aber auch so beeindruckend anzuschauen. Genauso wie die Onaruto-Brücke und der Sonnenuntergang, der den heutigen Abend beschließt. So haben wir uns das vorgestellt. 🙂

Ein friedlicher Ort

Unsere erste Station auf Shikoku ist am Freitag das kleine Städtchen Ōzu. Dort besichtigen wir die vor knapp 20 Jahren wieder aufgebaute Burg Ōzu, eine Anlage aus dem 14. Jahrhundert, und im Anschluss die historische Villa Garyu Sanso aus dem frühen 20. Jahrhundert. Ein wunderbar ruhiger, friedlicher und zeitlos wirkender Ort, an dem wir uns lange und gerne aufhalten. Beim Schlendern durch den Garten hinüber zum Teehaus bauen wir kleine Luftschlösser und phantasieren ein bisschen, wie wir in Nürtingen in einer japanischen Villa mit offener Terasse leben könnten. Kein schlechter Gedanke.

Cat Content

Am Nachmittag steuern wir die nächste Attraktion von Ōzu an, wofür wir zunächst eine halbe Stunde mit dem Wohnmobil und im Anschluss weitere 30 Minuten mit einer kleinen Personenfähre fahren müssen: Aoshima Island, die Katzeninsel. Nur noch eine Handvoll Menschen lebt auf der kleinen Insel, die ihre Blütezeit schon lange hinter sich gelassen hat. Geblieben sind eine enorme Anzahl Katzen, die sich mangels natürlicher Feinde auf der Insel zahlreich vermehren konnten. Im Internet finden sich unterschiedliche Angaben zur vierbeinigen Population, von 120 über 150 bis über 200 reichen die Zahlen. Ganz so viele Tiere sehen wir nicht, 30 bis 40 kleine Tiger sind es aber schon, die uns und die anderen Besucher:innen am Hafen und Dorfplatz begrüßen, angeschlichen kommen, sich streicheln lassen, kuscheln und gemeinsam mit uns den sonnigen Tag genießen. Junes ist großer Katzenfan und im großen Glück. Und da wir wissen, dass Cat Content im Internet immer zieht, kommen jetzt die schönsten Fotos von den Stars der Katzeninsel.

Unerwartete Heimatgefühle

Die Altstadt von Uchiko steht unter Denkmalschutz und ist eines der am besten erhaltenen Altstadtensembles in ganz Japan. So viel wussten wir bereits. Uchiko ist außerdem die Partnerstadt von Rothenburg ob der Tauber. Und es gibt in Uchiko einen Metzger, der in eben diesem Rothenburg sein Handwerk gelernt hat und seit vielen Jahren deutsche Bratwürste für seine japanischen Kund:innen produziert. Diese beiden Dinge wussten wir nicht und hätten sie beinahe nicht erfahren. Glücklicherweise sind unsere Neugier und Henriks Lust auf ein deutsches Bier groß genug, und so sitzen wir am Abend bei Würstchen, Zwiebelkuchen, Bratkartoffeln und Weissbier im Restaurant Zum schwarzen Keiler und lassen uns vom deutschen Wirt seine Geschichte und die der deutschen Würste in Uchiko erzählen. Seit zehn Jahren betreibt er zusammen mit seiner japanischen Frau den Schwarzen Keiler und kocht dort die Familienrezepte der Mama aus Westfalen-Lippe. Dabei kann er in der Stadt auf eine treue Stammkundschaft bauen, Schnitzel und Bier werden gut angenommen. Das wundert uns überhaupt nicht, denn wir essen lecker, führen gute Gespräche, bekommen Tipps für die weitere Reise und haben mit der Wahl dieses für Japan äußerst ungewöhnlichen Restaurants alles richtig gemacht. Also wenn ihr mal nach Uchiko kommt, … 🙂

Kreuz und quer durch Shikoku

Wir haben den falschen Zeitpunkt erwischt. Das historische Theater Uchiko-za können wir leider nur eingeschränkt besuchen, da am Vormittag bereits der Aufbau für eine Musik- und Tanz-Aufführung am Abend läuft. Gleichzeitig haben wir mal wieder den perfekten Zeitpunkt erwischt. Wir können das Theater zwar lediglich vom ersten Rang aus besichtigen, dafür bekommen wir die Generalprobe für die Aufführung mit und dürfen solange bleiben, wie wir möchten. Zwei verschiedenen Taiko-Gruppen mit Schulkindern bekommen wir zu sehen und vor allem zu hören. Der Sound der großen Trommeln im historischen Gemäuer ist schon sehr beeindruckend. Den Tanz der Senior:innengruppe sehen wir leider nicht in voller Länge, die älteren Damen und zwei Herren proben vor allem den Einmarsch und ihren Abgang von der Bühne. Jedenfalls ist es sehr spannend, dass wir ganz unerwartet etwas vom lokalen Kulturleben mitbekommen und die Akustik im historischen Theater wahrnehmen können.

Auf unserem Weg nach Süden legen wir in der Stadt Yusuhara einen kurzen Stop ein, um uns die dortige Stadtbücherei, ein international renommiertes Architekturprojekt, anzuschauen. Uns erwartet ein wunderbar einladendes, warmes Gebäude mit einer hohen Aufenthaltsqualität und echtem Wohlfühlcharakter, dass nicht nur Bücherei sondern auch lokaler Treffpunkt und Gemeinschaftsort ist. Gestaltet wurde das Haus vom japanischen Architekten Kengo Kuma, der das Gebäude überwiegend mit heimischem Zedernholz als Baumaterial entwickelt hat. Wir werden fast ein bisschen neidisch. Einen derart einladenden Ort für Bücher und Begegnung würden wir uns für Nürtingen und andere Kommune ebenfalls wünschen.

Bevor wir unser Nachtlager am herrlich einsamen und ruhigen Strandabschnitt Kotogahama im Örtchen Geisei aufschlagen, machen wir einen letzten Zwischenstopp in der Hauptstadt der Präfektur Kochi. Es zieht uns in den Hirome Market. Eine Ansammlung von Essensständen und Getränkebuden, in denen Kochitees und Besucher:innen gleichermaßen ihren Samstagabend verbringen, definitiv zu viel Alkohol trinken und die lokale Spezialität Katsuo no tataki genießen. Wir probieren selbstverständlich auch einen kleinen Teller des kurz geräucherten Fischs, der direkt vor unserer Nase zubereitet wird. Und ja, das hat schon was, wie der zarte Bonito auf der Zunge zerfällt und ein leichtes Raucharoma, ein wenig Salz und der Zitronendipp den Geschmack perfekt abrunden. Eine echte Delikatesse, zubereitet von Menschen, die ihr Handwerk verstehen!

Bevor wir am nächsten Tag auf dem Weg zu den Hängebrücken des Iya-Tals ordentlich Stress mit geschlossenen Tankstellen und japanischen Möchtegern-Rennfahrern haben, besichtigen wir am Morgen die Ryugado-Höhle, eine der größten Tropfsteinhöhlen in Japan. Auf den ersten Metern fast ein wenig enttäuschend, werden die Felsformationen zunehmend bizarrer, je weiter man den Weg ins Innere beschreitet. Erstaunlich warm ist es in den schmalen Gängen, ganz anders als wir es aus Tropfsteinhöhlen in Europa kennen. Möglicherweise hat dies mit der vulkanischen Aktivität zu tun, die es überall auf der japanischen Landmasse gibt und die den Stein entsprechend aufheizt. So mutmaßen wir, ohne genaueres zu wissen. Vielleicht sind ja unter unseren Leser:innen passionierte Höhlenforscher:innen, die das Phänomen erklären können?

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