Irgendwie war es vorhersehbar, dass wir den Smash-Hit von Alphaville aus dem Jahr 1984 in unserem Blog noch unterbringen müssen. Und wenn nicht jetzt, wann dann? Für einen Teil unserer Erlebnisse der letzten Tage passt das Wort „big“ tatsächlich wie die Faust aufs Auge. Wir haben ganz schön viel Großes gesehen: stattliche Männer, ausufernde Städte, rasende Züge und seit heute Oh-Oh – Hohe Berge. Noch so ein Hit.

Stattliche Männer

Sumō ist nur einmal im Leben. Also zumindest für uns. Daher nutzen wir die vermutlich einmalige Gelegenheit und organisieren uns Tickets für den dritten Tag des Turniers in der EDION Arena Ōsaka. Und wenn schon, denn schon denken wir und gönnen uns daher eine sogenannte Box. In dieser sitzt man auf einer Tatami-Matte und Kissen mit bis zu vier Personen, für uns zu dritt Luxus pur. Aber es lohnt sich, denn so sind wir in guter Nähe zum Geschehen und bekommen authentisch mit, wie die Japaner:innen einen Tag beim Sumō begehen.

Die Systematik rund um Ranglisten, Ligen und die verschiedenen Kampfklassen ist komplex und wir versuchen bis zum letzten Kampf anhand unseres englischsprachigen Programmhefts einen Überblick über die Zusammensetzung der verschiedenen Paarungen und den Ablauf des Turniers zu bekommen. Doch letztlich ist dieses Vorhaben aussichtslos, denn schließlich sehen wir nur einen Tag des insgesamt 15-tägigen Turniers, von denen übers Jahr verteilt sechs Stück stattfinden. Immer zwei in der Rangliste nebeneinander platzierte Kämpfer treten gegeneinander an und mit fortschreitendem Nachmittag betreten nach und nach die aktuell besten Sumō-Ringer des Landes das Dohyō. Daher sehen wir im letzten Kampf des Tages den aktuell einzigen Sumō-Ringer vom Rang eines Ōzeki, Takakeisho. Wie sich allerdings die Paarungen für die kommenden Tage ergeben, wer im Lauf der 15 Tage wie oft gegen wen antritt und wieso auf einmal ein Kämpfer der Jūryō-Division (quasi die Zweite Liga des Sumō) in einem Kampf der Makuuchi-Division (Erste Liga) ringen darf, bleibt für uns rätselhaft und verschlossen. Wer sich etwas eingehender mit den Hintergründen und Grundlagen des japanischen Nationalsports beschäftigen möchte, sollte sich die sehr informative englischsprachige Seite des Sumōverbands anschauen und dort ein wenig in die Thematik einlesen.

Wir haben in jedem Fall mächtig Spaß, der Nachmittag verläuft äußerst kurzweilig und die japanischen Besucher:innen zeigen sich als fachkundiges Publikum. Ähnlich wie bei einem Tennismatch herrscht zwischen den Kämpfen emsiges Gesumse, werden Plätze verlassen und wieder aufgesucht, wird geredet und laut gerufen, bevor wenige Sekunden vor dem Aufeinanderprallen der massiven aber gleichzeitig enorm beweglichen Körper eine gespannte Stille eintritt. Dann kracht es, und ein nur wenige Sekunden dauernder, aber hochenergetischer Kampf beginnt. Gewonnen hat, wer den Gegner zu Boden bringt oder mit den Füßen aus dem Ring befördert. Besondere Aktionen werden vom Publikum mit vielen Ahs und Ohs begleitet, einige der Kämpfer im Anschluss mit frenetischen Applaus bedacht. Offensichtlich die Lokalmatadoren. Kurz vor 18 Uhr dann der Höhepunkt des Tages: Takakeisho ringt Shodai in souveräner Manier nieder und lässt zu keiner Sekunde einen Hauch des Zweifels an seiner aktuellen Spitzenposition aufkommen. Noch eine kurze Verbeugung, dann leert sich die Halle in rasendem Tempo und auch wir machen uns auf den Weg zurück zu unserem Wohnmobil und raus aus der Stadt.

Ausufernde Städte

Schon bei der Fahrt nach Ōsaka über die Akashi-Kaikyō-Brücke von Awaji-shima nach Honshū lässt es der Blick erahnen: die Region rund um die Städte Kōbe, Ōsaka und Kyōto ist ein ausuferndes Geflecht urbaner Bebauung, vergleichbar dem Ruhrgebiet in Deutschland, wo die Grenzen der unterschiedlichen Kommunen für den Durchreisenden kaum mehr wahrnehmbar sind. Wir sehen ausschließlich Stadt. Doch wo fängt die eine an, wo hört eine andere auf? Als wir Ōsaka am Abend verlassen, gibt ein unscheinbares Schild an einer Ausfallstraße am Ende den entscheidenden Hinweis: Präfektur Kyōto. Unser nächstes Ziel. Doch statt ins Zentrum steuern wir erst einmal in den Speckgürtel der Metropole. Es ist bereits dunkel und in Kameoka befindet sich das einzige Michi no eki weit und breit. Ein sicherer Hafen für uns, denn im Dunkeln in einer japanischen Großstadt einen Park- und Übernachtungsplatz für uns und unser rollendes Zuhause suchen, ist so gar nicht unser Ding.

Kyōto also, die alte Kaiserstadt. Vollgepackt mit Sehenswürdigkeiten, Tempeln, Schreinen, Palästen, Burgen und Ruinen. Viel zu viel für den einen Tag, den wir für die historischen Denkmäler und Anlagen der Stadt vorgesehen haben. Alleine die Busfahrt vom Hauptbahnhof zum Tempel Ginkaku-ji, unserer ersten Anlaufstelle, dauert schon fast eine Stunde. Als wir im Anschluss den als Philosophenweg bekannt gewordenen Tetsugaku no Michi bis zur Tempelanlage Nanzen-ji und weiter über das alte Aquädukt bis zum Keage Incline entlangspazieren, wird uns mit fortschreitender Zeit immer offensichtlicher, dass wir viele der kulturellen Attraktionen für dieses Mal unbesehen und unbesucht lassen müssen. Keine wirklich neue Erkenntnis, ist doch das Weg- und Auslassen von Orten und Gelegenheiten fester Bestandteil jeder Reise. Und wie schon öfter schmerzlich erlebt auch Teil unserer Weltreisen.

Rasende Züge

Doch noch sind wir nicht ganz durch mit Kyōto. Ein Highlight dürfen und wollen wir nicht verpassen. Angeblich eines der besten seiner Art. Und für uns, die wir seit dem 16. Januar in mittlerweile 27 verschiedenen Zügen gereist sind, quasi ein Pflichttermin: das Eisenbahnmuseum Kyōto.

Uns interessiert selbstverständlich die Geschichte der legendären Shinkansen-Hochgeschwindigkeitszüge. Diese sind berühmt für ihre absolute Pünktlichkeit und die extrem dichte Taktung, mit der sie zwischen den verschiedenen japanischen Metropolen verkehren. Tags zuvor können wir dies am Bahnhof Kyōto mit eigenen Augen sehen, wo auf der Abfahrtstafel innerhalb von ca. 30 Minuten alleine sechs Shinkansen nach Tokyo angekündigt sind. Die Stadtbahn in Stuttgart fährt nicht einmal zur Rush Hour so häufig. Von der Aussichtsplattform des Museums sehen wir die eleganten Züge mit ihrer markanten Front alle paar Minuten auf der quer durch die Stadt verlaufenden Strecke vorbeifahren und freuen uns schon mal ein bisschen vor auf die Zugfahrt von Fukuoka nach Tokyo in wenigen Wochen.

Auch die weniger schnellen Exponate des Museums gefallen uns sehr gut: alte Pendlerzüge, verschiedene Speise-, Schlaf- und Abteilwagen, die Dampflokparade im alten Lokschuppen mit Drehscheibe und die früheren Privatwagons der kaiserlichen Familie. Besonders interessant finden wir die alten Triebwagen der ehemaligen Japanischen Staatsbahn aus den 60er- und 70er-Jahren mit ihren schön gestalteten Fronten, lustigen Namen und herrlich altmodischer Farbgebung.

In der alten Hauptstadt

Das Kyōto für viele Jahrhunderte Machtzentrum und Hauptstadt Japans war, ist Teil des Allgemeinwissens. Kaum bekannt und auch für uns neu ist die Tatsache, dass die südlich von Kyōto gelegene Stadt Nara von 710 bis 784 ebenfalls für einige Jahre als Hauptstadt fungiert hat. Nachdem unser Hunger nach Eisenbahnromantik vorerst gestillt ist, nutzen wir den Nachmittag für einen Abstecher und fahren die kurze Strecke in Richtung Süden. Von den vielen prächtigen Tempelanlagen und Schreinen der Stadt sehen wir aufgrund der fortgeschrittenen Uhrzeit zwar nur noch einen Teil, und diesen lediglich von außen, doch wir sind so oder so aus ganz anderen Beweggründen nach Nara gefahren. Wir wollen die aktuellen Stars der Stadt kennenlernen, und die gibt’s auch nach 17 Uhr noch zu bestaunen. Und das sogar gratis.

Die Sikahirsche vom Nara-Park

Sie sind überall: auf dem Rasen, in der Einkaufsstraße, vor den Tempeln und Schreinen, mitten auf der Straße, um mit stoischer Gelassenheit den Verkehr zu blockieren: mehr als 1.200 wilde Sikahirsche leben rund um den Nara-Park, und sie sind die wahre Attraktion der Stadt. Selbst zu vorgerückter Stunde sind zahlreiche Menschen versammelt, auf der Suche nach dem einen perfekten Selfie mit Hirsch. Wobei die Tiere zwar ungewöhnlich zutraulich, am Ende aber immer noch wild sind und daher nicht freiwillig für Selfies zur Verfügung stehen. Am effektivsten und leichtesten erhält man die volle Aufmerksamkeit der Paarhufer mit dem vor Ort zu erwerbenden Futter. Doch es ist ein schmaler Grat zwischen Aufmerksamkeit und Aufdringlichkeit, und so sehen wir immer wieder ängstlich dreinblickende Tourist:innen quer durch den Park rennen, verfolgt von einer hungrigen Horde, deren Mitglieder am Ende doch nur ihrer Natur nach handeln. Und die ganz genau wissen, was da Leckeres in den weißen Plastiktüten drin steckt. Wir lassen die Sache mit dem Futter besser sein, trotzdem gelingen uns ein paar schöne Fotos und freundlich, zurückhaltende Begegnungen mit den faszinierenden Tieren. Es ist schon etwas ganz Besonderes, wenn eigentlich scheues Wild plötzlich ganz nah- und erfahrbar ist. Wieder einer dieser Momente auf unseren Reisen, der für lange, lange Zeit im Gedächtnis bleiben wird.

Hohe Berge

Schlagartig ist es kälter geworden. Trüb, nass und wolkenverhangen präsentiert sich das Wetter nach unserer Nacht am Biwa-See. Wir machen das beste draus, und zwar Strecke. Schließlich ist es eine lange Fahrt, um in die japanischen Alpen zu kommen. Zumindest, wenn man sich die heftigen Mautgebühren der Autobahn sparen und auf den Landstraßen entlangzuckeln möchte. In den Bergen ist zwar gerade überhaupt keine Saison (ein trauriger Rest Schnee liegt auf den Skihängen, für ausgiebige Wanderungen ist es noch zu kalt), aber wir können Japan nicht verlassen, ohne einen Abstecher in die alpine Landschaft gemacht zu haben. Wo die Dörfer angeblich aussehen wie im Allgäu. Also fahren wir durch die Präfekturen Shiga, Gifu und Toyama und beschließen den langen Tag auf der Straße mit einem Besuch im Kuroba Onsen und Abendessen im angeschlossenen Restaurant. Ein guter Auftakt. Wir sind gespannt, was die Berge ab morgen für uns zu bieten haben.

Ein Kommentar

  1. Hallöchen!
    Das Foto mit den Dampfloks sieht aus, wie bei uns hier zu Hause;). Zum Glück sind sie im Museum versteckt, der Qualm, was diese Loks rausgepustet haben braucht nun niemand.
    Die Sumo Wettkämpfe zu besuchen ist bestimmt etwas ganz besonderes, wenn auch ihr kein Durchblick gewinnen konntet. man weiß doch, die zwei auf der Matte schieben sich gegenseitig ins Abseits…..
    Liebe Grüße, Jindra

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