Wir sind erst seit vier Tagen unterwegs. Und haben doch schon wieder so viele Eindrücke gesammelt. Wie soll man all das am späten Sonntagabend in einem Beitrag kurz und spannend zusammenfassen? Fühlt sich gerade nach einer Herkulesaufgabe an. Vielleicht sollte ich mich an den großen Christoph Schlingensief halten: Scheitern als Chance! Heute gibt es also Rohkost, ohne große Nachkontrolle. Wird schon schiefgehen. Und die Bilder erzählen ganz ohne Worte.

Im Land der höflichen Menschen

Koreaner:innen sind so höflich und zuvorkommend.

Ja, so haben wir es aufgeschrieben und erlebt. Allerdings: wer auch nur länger wie zwei Tage in Japan verbringt, wird Südkoreaner:innen im Vergleich umgehend als rüpelhaft, rüde und egoistisch empfinden. Was sie selbstverständlich nicht sind, nur um das klarzustellen. Aber hier, in Japan, ist es für uns eine helle Freude. Wir waren noch nie an einem Ort, an dem die Menschen derart freundlich, höflich, respektvoll und nachsichtig miteinander umgehen. In allen Lebensbereichen (die uns bis dato begegnet sind), ohne Ansinnen der Person (sofern wir das bislang beurteilen können). Es macht etwas mit uns, umgehend. Ein unglaublich positives Gefühl. Wenn man die ersten Meter mit einem kleinen, aber für die hiesigen Straßen trotzdem zu großen Wohnmobil durch den Linksverkehr eiert und man keine Sekunde lang das Gefühl vermittelt bekommt, irgend jemanden durch seine Schleich- und Kriechfahrt auf die Nerven zu gehen. Wenn Danke, Bitte, Willkommen und ein Gefühl des Respekts jede noch so alltägliche Handlung begleiten und sich in der Arztpraxis fünf (!) Menschen mit zwei Smartphones und Übersetzungsapps Zeit nehmen, um das Anliegen der beiden Fremden möglichst gut zu verstehen und eine passende Hilfe anzubieten. Wenn niemand drängelt, schubst, aufdringlich wird, keinen Abstand wahrt, zu laut oder zu dominant daherkommt. So sollte es sein.

Schon klar, wir sind erst wenige Tage hier und auch Japan ist vermutlich keine Insel der dauerhaften Glückseligkeit. In Bezug auf ein freundliches und höfliches Miteinander allerdings können wir uns schon eine ordentliche Portion von den Japaner:innen abschneiden. Das legen wir jetzt mal so fest!

Im äußersten Nordwesten

Raus aus Fukuoka, raus aufs Land. Nach Nordwesten zieht es uns auf den ersten Kilometern im Wohnmobil, mit der jetzt wieder vorhandenen Freiheit unter den Rädern. Wir können fahren, wohin wir wollen und als erstes fahren wir zum Cape Hado, dem nordwestlichsten Zipfel Japans. Richtig Spektakuläres gibt es dort noch nicht zu sehen, aber für den ersten Tag bereits mehr als genug. Blauer Himmel, Strand, Inseln im Meer. Nach unserer ersten Nacht auf zehn Quadratmetern kurven wir gleich mal wieder ein Stück zurück, besichtigen Karatsu Castle, fahren in die Porzellanstadt Arita und genießen ein sagenhaftes Mittagessen im Curry House Kurinto.

Eine exklusive Führung

Eigentlich ist es eher Zufall, dass wir in Arita die Porzellanmanufaktur von Fukagawa Seiji ansteuern. „China on the Park“ auf Google Maps klingt gut, daher machen wir das zu unserer ersten Station in der Stadt. Was wir nicht ahnen ist, dass wir an einem der bedeutendsten Orte für Arita-Porzellan landen, eine Vase sehen, die bei der Weltausstellung 1900 in Paris die Goldmedaille gewonnen hat und von einem freundlichen älteren Herrn (wir vermuten ein ehemaliger Chef oder zumindest Mitarbeiter in leitender Position) zu einer privaten Führung in die Manufaktur eingeladen werden. Inklusive Gespräch mit zwei der Keramiker:innen, die in mühevoller Handarbeit filigrane Porzellankunstwerke herstellen. Das ist schon ein besonderer Moment und eine große Ehre, dass wir plötzlich inmitten der Werkstatt stehen dürfen und drei Menschen sich die Zeit nehmen, uns mit Hilfe von Übersetzungsapps ihr Handwerk und den Herstellungsprozess ihrer Produkte zu erklären. Ein wenig können wir immerhin zurückgeben, denn als wir von unserem Besuch in der Porzellanfabrik in Meißen erzählen, huscht ein Lächeln über das Gesicht unserer Gastgeber:innen – Meißner Porzellan ist auch hier im fernen Japan ein Begriff.

Ein Schrein (fast) für uns allein

Einer der bedeutendsten Shintō-Schreine in Japan. Wir erwarten viele Menschen, Geschiebe und Gedränge. Doch es kommt anders, als wir denken. Denn offensichtlich ist Freitagabend eine hervorragende Zeit, um sich den Yūtoku Inari Schrein ganz ohne die Massen und in Ruhe anschauen zu können. Das sehen wir schon an den leeren Parkplätzen. Von denen gibt es reichlich. Umso schöner, dass wir den Schrein nahezu für uns alleine haben und ganz in Ruhe durch die riesige Anlage laufen können. Was im Übrigen ganz schön schweißtreibend ist, denn der Schrein ist am Fuße eines Bergs errichtet und hinter den zentralen Hallen führt ein Fußweg steil nach oben. Vorbei an vielen kleinen Häuschen, Altaren gleich, die alle sehr individuell geschmückt und von den Komainu bewacht werden. Ganz oben angekommen bietet sich ein toller Ausblick auf die Bucht der Ariake-See, ganz profan findet man selbstverständlich wieder die obligatorischen Getränkeautomaten. Macht Sinn, nach dem anstrengenden Aufstieg. 🙂

Michi no eki

Noch ein paar Worte zu unserem rollenden Zuhause: klein ist es, keine fünf Meter lang, und vermutlich ist jedes deutsche SUV breiter. Halb so groß, wie unser Schiff in den USA. Für Japan hingegen ist das schon ein großes Fahrzeug, kein Wunder bei den meist engen und kurvigen Straßen. Auf denen i.Ü. im Schnitt kaum schneller als 50 km/h gefahren wird. Ein sehr entschleunigtes Vorankommen. Doch zurück zu unserem Wohnmobil: Platz für uns drei ist genug in dieser kleinen Hütte. Eine Miniküche samt Kühlschrank haben wir ebenfalls zur Verfügung. Was fehlt ist der Komfort einer eigenen Dusche und Toilette. Ist aber auch nicht notwendig, denn an sauberen Toiletten mangelt es in Japan nicht. Man findet diese nahezu überall, meistens mit eingebautem Schnick-Schnack wie Soundgenerator, Intimdusche und einem beheizten Toilettensitz. Das macht den Gang zum Örtchen jedesmal aufs Neue zu einem echten Erlebnis. 🙂

Saubere Toiletten gibt es auch an den Michi no eki, den japanischen Raststätten. Dort verbringen wir bislang die meisten Nächte, denn man darf hier kostenlos über Nacht stehen. Und das meist sogar in landschaftlich schöner Umgebung oder unmittelbarer Nähe zu touristischen Attraktionen wie dem mitten im Watt stehenden Schrein von Oouo.

Weiter geht unsere Fahrt die Küstenstraße entlang. Auf unserem Weg nach Nagasaki besichtigen wir das schöne Takezaki Observatorium und die Ruinen des ehemals dort stehenden Leuchtturms. Ein wunderbar ruhiger Ort und toller kleiner Zwischenstop, malerisch gelegen und umgeben von wunderbar grüner Landschaft.

Für den Frieden

Nagasaki ist nicht der erste Ort des Grauens, den wir besuchen: Ground Zero, das Stalin-Museum in Gori, den Zizernakaberd in Jerevan. Und nun noch so ein Ort voller Grausamkeit und Trauer: am 9. August 1945 explodiert um 11:02 Uhr in knapp 500 Meter Höhe über dem Stadtzentrum von Nagasaki die Atombombe Fat Boy, zerstört die halbe Stadt und löscht innerhalb weniger Sekunden eine unvorstellbare Zahl an Leben aus. Mit einem Museum sowie verschiedenen Denkmälern am Zentrum der Detonation sowie dem angrenzenden Friedenspark wird seit 1955 an die Folgen des Abwurfs erinnert. Dabei haben sich die Bürger:innen der Stadt mit ihrem Gedenken ganz dem Einsatz für den Frieden verschrieben. Überall rund um die Gedenkstätten findet man die bunten Farben des Regenbogens. Frieden ist das zentrale Motto des Erinnerns an diese schreckliche und menschgemachte Tragödie. Verbunden mit einer eindeutigen Botschaft: Nagasaki muss für immer die letzte Stadt sein, die ein derartiges Schicksal erleidet.

Hot, hot, hot

Es stinkt. Schwefelgeruch hängt in der Luft. Überall blubbert und gluckert es. Heißer Dampf umströmt uns. Schlamm spritzt in die Luft und irgendwie wirkt alles reichlich surreal. Dabei sind heiße Quellen in Japan nichts Ungewöhnliches, kein Wunder bei den zahlreichen aktiven Vulkanen auf den verschiedenen Inseln des Landes. Wir sind in der Stadt und am Vulkan Unzen, der Mitte der 90er Jahre das letzte Mal ausgebrochen ist. Doch Ruhe herrscht hier noch lange nicht, wie die Szenerie um uns herum eindrücklich beweist. Ein sehr besonderer Spaziergang, den wir wie fast alle Besucher:innen mit im Schwefeldampf gekochten Eiern und Unzen-Limonade abschließen. Es wird sicher nicht das letzte Mal sein, dass wir vom heißen Wasser berichten. In einer wunderbaren Frühlingsatmosphäre geht’s im Anschluss mit der kleinen Autofähre rüber auf Shimoshima Island, wo wir für die Nacht wieder einmal eine Michi no eki ansteuern. WLAN, warme Toilettensitze und ein pompöser Sonnenuntergang all inclusive. So kann’s gerne weitergehen. 🙂

Ein Kommentar

  1. Hallo zusammen!
    Jetzt habt ihr das Ziel meines Begehrens erreicht.
    Ich freue mich mit euch weiterhin reisen zu können und bin sehr neugierig, was ihr alles auf der „To do“ Liste stehen habt.
    Leider hat Corona auf dem Rückweg aus Hawaii unsere Pläne durchkreuzt. Anstatt 3 Wochen Japan als Stop-Over, mussten wir neue Tickets besorgen und in die andere Richtung, via Kanada schnur-strack-gerade nach Hause fliegen. Seitdem ruht der Plan. Ihr seid uns jetzt voraus, vielleicht kann ich von euch noch viele übernehmen und lernen. Vor allem „Womo“, auf die Idee bin ich gar nicht gekommen, vielleicht wäre es auch für uns etwas. Besser, als ständig die Hotelbetten wechseln zu müssen.
    Gute Reise und lieben Gruß aus dem gerade frisch verschneiten DE,
    Jindra

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